Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
während morgendliche Trinker ihr Bier schlürften.
Zwei Motorradfahrer standen am
Billardtisch, groß, haarig und wild tätowiert, aber sie belästigten Neely
nicht. Sie warfen nur Münzen in die Musikbox und sangen lautstark und sehr
falsch die ausgewählten Schlager mit. Niemand im ganzen Lokal, am
allerwenigsten Neely selbst, war dumm genug, dagegen zu protestieren.
Ein Fernsehapparat befand sich
hinter der Theke, aber der Wirt hatte eine Quizsendung eingestellt und sah
nicht so aus, als ob er bereitwillig auf einen Nachrichtenkanal umschalten
würde, falls ihn jemand darum bat. Neely bezahlte ihr Essen, suchte kurz die
Toilette auf und setzte ihre Reise fort.
Da Aidans Autoradio in den nächsten
Stunden nichts als statische Geräusche von sich gab, kaufte Neely eine
Tageszeitung, als sie tankte. Normalerweise wäre sie um diese Zeit schon wieder
hungrig gewesen, aber ihre Angst war größer, und die Würstchen vom Morgen lagen
ihr noch immer wie ein Stein im Magen.
Der Parkplatz der Tankstelle war
leer, und deshalb nahm Neely sich die Zeit, einen Blick in die Zeitung zu
werfen. Sie fand nichts über Senator Hargroves dunkle Machenschaften, aber
dafür eine interessante Notiz auf der letzten Seite.
Unerklärliche Explosion zerstörte
Strandhaus in der Nähe von Timber Cove, stand als Schlagzeile über dem Artikel. Irgendwann
während der Nacht, berichtete der Reporter, hatte eine Explosion das Sommerhaus
einer gewissen Wendy Browning dem Erdboden gleichgemacht. Es war noch nicht
bekannt, ob es Tote gegeben hatte, die Ermittlungen liefen noch.
Neely stieß die Wagentür auf, rannte
zu der riesigen Mülltonne hinter der Tankstelle und erbrach sich noch, als ihr
Magen längst geleert war. Wenn Senator Hargrove sie nicht gewarnt hätte, wie
indirekt auch immer, wäre sie mit dem Haus in die Luft geflogen!
Sie ging in den Waschraum, als der
Anfall von Übelkeit vorüber war, spülte ihren Mund aus und spritzte sich
kaltes Wasser ins Gesicht, bis sie wieder einigermaßen bei Besinnung war.
Vielleicht, dachte sie, während sie sich mit zitternden Gliedern an die kalte
Kachelwand lehnte, wäre es doch besser gewesen, nicht nach Washington zu
fahren. Denn genausogut hätte sie sich auch einen Zirkus suchen können, um in
den Tigerkäfig zu steigen und den Raubtieren zwei dicke Stücke rohen Fleisches
unter die Nase zu halten.
Zwölf
Trotz der räumlichen und zeitlichen
Trennung von Neely spürte Aidan ihre Verzweiflung in seinem eigenen Gemüt. Er
wußte, daß sie sich in höchster Gefahr befand, und doch hielt seine Schwäche
ihn wirkungsvoller an die Couch in der Krypta gefesselt, als eiserne Ketten es
vermocht hätten. Er mühte sich verzweifelt ab, um aufzustehen, doch ohne
Erfolg.
»Valerian!« schrie er in die Finsternis,
wartete und horchte auf das Echo seiner Stimme. Aber der andere Vampir kam
nicht, und Aidan war zu stolz, um noch einmal nach ihm zu rufen.
Er schloß die Augen und versuchte,
sich zu beruhigen. In Gedanken sah er Neely vor einer Mülltonne stehen und sich
heftig übergeben. Er sah sie in den Damenwaschraum eilen und spürte ihre
Erleichterung, als sie ihr Gesicht befeuchtete. Dann runzelte er die Stirn und
versuchte, die plötzliche Vision von Neely in einem Raubtierkäfig zu begreifen.
Doch das verrückte Bild verschwand
wieder, Neely saß jetzt am Steuer seines Wagens. Er spürte ihre kurzen, flachen
Atemzüge, als ob sie seine eigenen gewesen wären, und er fühlte auch die warme
Feuchte ihrer Tränen.
Sie war verängstigt und verwirrt,
und nicht zu ihr eilen zu können stellte eine der größten Qualen dar, die Aidan
je erlebt hatte.
Neely, dachte er. Sie hörte ihn nicht
bewußt, das war ihm klar, aber sie trocknete ihre Tränen und straffte die
Schultern.
»Gut, Wallace«, sagte sie laut.
»Keine Panik mehr. Es wird Zeit, daß du endlich einen vernünftigen Gedanken
faßt.«
Brav, mein Mädchen, dachte Aidan, der die Welt noch
immer durch ihre Augen sah und ihre Emotionen und körperlichen Gefühle teilte.
»Zur Polizei kann ich nicht gehen
und zum FBI auch nicht. Ich weiß nicht, ob Melody Ling die Geschichte
veröffentlichen wird oder ob sie unter Druck die Sache fallenläßt und so tut,
als hätte es sie nie gegeben.« Mit einer Hand fuhr Neely sich durchs kurze
Haar, und auch Aidan spürte es zwischen seinen Fingern. Als sie seufzte, teilte
er auch dieses Gefühl mit ihr, und seine Augen füllten sich mit Tränen, weil
er solch schlichte, kostbare Nuancen der
Weitere Kostenlose Bücher