Silberschweine
bei spärlicher Beleuchtung, denn sie hatte so dick aufgetragen, daß ihre Züge im hellen Sonnenlicht nicht etwa belebt, sondern unnatürlich starr wirkten.
»Wo ist deine Herrin, Mädchen?« fragte ich besorgt.
»Im Lagerhaus ihres Schwiegervaters. Ich hatte Angst, weiterzugehen; sie hat gesagt, ich soll hier warten.«
»Es ist doch bloß ein Lagerhaus, nichts Unheimliches; du hättest mit ihr gehen sollen!«
»Und jetzt? Was soll ich tun?« fragte Naïssa nervös, und ihre phantastisch geschminkten Augen wurden immer größer.
»Tu, was sie dir gesagt hat!« meinte ich unfreundlich. Meine Gedanken überschlugen sich.
Nachdem ich Helena gestern geschrieben hatte, daß ich nicht mit ihr in das Lager gehen würde, konnte ich dort jetzt nicht einfach aufkreuzen. Ich mußte meinen Plan ändern. Jetzt, da ich erkannt hatte, daß zumindest einer ihrer Verwandten an der Verschwörung teilhatte, war es ohnehin schwierig, ihr gegenüberzutreten. Aber die ganze Zeit ließ mich der Gedanke nicht los, daß Sosia in diesem Speicherhaus ermordet worden war. Helena dort allein zu lassen, fiel mir noch schwerer.
»Sind Sie Didius Falco?« fragte Naïssa. Ich hielt inne. »Sie hat gesagt, ich soll zu Ihnen zu gehen und dies abgeben –«
Sie hielt mir etwas entgegen. Es war in ein Tuch gewickelt, aber das Gewicht kam mir vertraut vor, sobald es in meiner Hand lag.
»Hatte sie eine Nachricht für mich?«
»Nein, Herr.«
Ich wußte sofort, daß etwas Ernstes vor sich ging. Hastig sagte ich zu dem Mädchen: »Geh zurück und sieh dir mit der Familie den Triumphzug an. Und sage Helena Justinas Mutter so unauffällig wie möglich, daß ich mich jetzt um den Schutz deiner Herrin kümmere. Ihr Vater ist wahrscheinlich beim Opfer, ihn brauchen wir vorerst nicht zu behelligen. Aber wenn Helena bis zum Festessen noch nicht zurück ist, dann geh zum Senator und sag ihm, wo wir sind.«
Und schon hastete ich die Granatgasse hinunter. Im Laufen faltete ich das Tuch auseinander.
In der Hand hielt ich das Armband aus britischem Gagat, das mir Sosia einmal geschenkt hatte und das mir vor dem Haus des Senators gestohlen worden war.
LVIII
Manche Fälle bestehen aus einer langen Reihe von Tatsachen, die einigermaßen logisch miteinander verbunden sind; mit ein bißchen Verstand kann der Ermittler die ganze Arbeit allein bewältigen, in einem Tempo, das ihm behagt. Aber bei manchen Fällen ist es nicht so. Dann kann man nur im Schlamm rühren, nach irgendwelchen Einzelteilen stochern, die zufällig an die Oberfläche getrieben werden, und darauf warten, daß irgend etwas von dem, was da zum Vorschein kommt, einen Sinn ergibt. Jetzt war etwas sichtbar geworden. Offenbar hatte Helena im Schlamm gerührt. Aber wenn Helena dieses Armband dort gefunden hatte, wo Sosia ihre Namensliste gefunden hatte, dann ergab es einen Sinn. Und es bedeutete, daß Helena Justina wußte, wer der letzte Verschwörer war.
Damit es nicht verlorenging, schnallte ich das Armband an meinen Gürtel.
In der Gasse hatte sich manches verändert, manches war genau wie vorher. Üppiges Unkraut wucherte um die morschen, von Schimmelpilz überzogenen Torpfosten; nebenan prangten an einer erneuerten Einfahrt neue Ketten und neue Vorhängeschlösser. Offenbar wechselten diese Speicherhäuser in den Stürmen des Handelslebens ständig den Besitzer, egal ob diese Stürme von mißgelaunten Göttern auf dem Ozean oder von eifrigen Spekulanten im Emporium entfacht wurden.
Am Lagerhaus des Marcellus schien sich wenig verändert zu haben. Der kaputte Wagen in der Gasse, an den ich mich noch erinnerte, war allerdings ein paar Meter vorwärtsgeschoben worden; es überraschte mich, daß man ihn überhaupt bewegen konnte. Der Unterschied fiel mir nur deshalb auf, weil sich dort, wo dieses Vehikel vorher gestanden hatte, ein Kanalschacht befand, dessen Deckel abgenommen war. Das Tor zum Hof war nur angelehnt, nicht verschlossen. Ich trat rasch ein.
Als ich auf der Suche nach Sosia hierhergekommen war, hatte das Speicherhaus des Marcellus ausgesehen, als würde es leerstehen. Seither war die Schiffsverbindung mit Alexandria wiedereröffnet worden, und offenbar waren mehrere vollbeladene Trieren eingetroffen, solange Pertinax gelebt und sich um seine Geschäft gekümmert hatte. Es war nicht zu übersehen, daß auf diesem Gelände gearbeitet wurde. An der Hofmauer standen mehrere Wagen nebeneinander, und als ich mich dem Gebäude näherte, konnte ich schon aus fünf Schritt Entfernung
Weitere Kostenlose Bücher