Silberschwester - 14
zu sehen, ist mir ja Lohn genug«, antwortete Maldor, stürmisch
seine Umarmung erwidernd. »Aber du siehst ganz unverändert aus. Wie ist das
möglich?«
»Ich wob einen
Stasezauber in die Kammer, damit mein Fleisch nicht verwest, während mein Geist
im Stein der Statue wohnt. Wie sonst hätte mein Leib all diese Jahre überstehen
können? Ich wusste, dass du angesichts des Katers auf dem Altar ahnen würdest,
was ich getan hatte, vergaß aber in meiner Eile, dir eine Kopie des Spruchs zur
Belebung der Figur dazulassen.«
»Wir sollten
bald verschwinden«, rief Dab nun nervös von der Tür her.
»Der Junge hat
Recht«, meinte Maldor. »Es wird ohnehin genug zu erklären geben, mit dem Chaos
hier, und du, alter Freund, bist durch Ficallans Edikt noch immer geächtet und
bist nach Recht und Gesetz zum Tode des Verräters verurteilt.«
»Dann muss ich
die Stadt sofort verlassen, aber wo sollte ich hingehen?«
»Wir könnten
in die Länder im Osten reisen«, schlug Shallisa vor.
»Wir?« Nizirä
lächelte und streichelte ihr mit sanfter Hand die Wange. »Du solltest es nicht
so eilig haben, dein Los an das meine zu binden, Shallisa. Ich bin zwar dein
Vater, aber doch auch ein Fremder aus einem fremden Land … Diese Stadt und die
Ebene Itaras sind deine Heimat und alles, was du kennst.«
»Dann wird es
ja Zeit, dass ich etwas mehr von der Welt sehe, meinst du nicht?«, beharrte
sie.
»He,
Katzenauge …«, neckte Maldor sie und fragte grinsend: »Was täte denn so eine
einfache Steinwirkerin wie du in den großen zivilisierten Städten des Ostens?«
»Studieren, um
Steinmagierin zu werden. Dass ich das Talent dazu habe, habe ich wohl bewiesen!«,
rief sie und sah die beiden, stumm, das Kinn gereckt, herausfordernd an.
»Ganz die
Tochter ihres Vaters«, sagte Maldor und zwinkerte seinem alten Freund zu.
»Auch die
ihrer Mutter, fürchte ich«, lachte Nizirä, sah nun Shallisa an und sagte: »So
komm mit mir, und dann werden wir ja sehen.«
»Ich komme
mit«, tönte da Dab, zu aller Staunen. »Ihr werdet auf eurer Reise Hilfe
brauchen, und es gibt viele Türen, die Schlösser haben.«
»Da könnte er
uns wirklich eine Hilfe sein«, sagte Shallisa, nahm die Lapiskatze behutsam vom
Altar und schlug sie wieder in ihr goldenes Tuch ein.
»Warum nicht«,
seufzte Nizirä und schüttelte in gespielter Resignation den Kopf, als er ihr
zum Weg hinaus den Vortritt ließ – unverkennbar stolz war aber der Blick, den
er Maldor zuwarf, ehe er selbst zur Tür ging.
MARY SOON LEE
Mary schrieb mir einen wunderbar
kurzen und sach(dien)lichen Vorstellungsbrief, der besagt, dass sie in London
geboren und aufgewachsen sei und jetzt in Pittsburgh, Pennsylvania, lebt, wo
sie den Pittsburgh Worldwrights betreibt, einen Workshop für spekulative
Fantasy. »Eine Science-Fiction-Story von mir kam neulich in die Vorauswahl für
den ›Nebula-Award‹. Zu meinen literarischen Referenzen zählen
Veröffentlichungen in On Spec, Pirate Writings und Fantasy &
Science-Fiction. In meinem nicht literarischen Leben bin ich dreißig Jahre
alt, verheiratet und kinderlos. Wir haben noch keine Haustiere«, aber, schließt
sie – sicher im Spaß –, eines Tages würde sie sich gerne Lamas halten. Was
wohl, wie gesagt, ein Witz sein soll.
Hat sie je ein
Lama aus der Nähe gerochen?
»Die leere Tänzerin«
teilt ein paar Themen mit Lisa Waters’ Story und wirft, wie die »Geschichte der
Steinwirkerin« von Cynthia McQuillin, einen Blick aufs »Vater sein«, macht
zudem einen Vorschlag für eine humanere Kriegführung (aber jeder, der auf eine
so vernünftige Anregung hörte, würde wohl erst gar nicht in den Krieg ziehen). –
MZB
MARY SOON LEE
Die leere
Tänzerin
Am Vorabend der Schlacht ging Hellia
mit dem Feinde tanzen. Alles daran war ihr merkwürdig: Wie sie an der Wache
vorüberging, das Gesicht unter der goldenen Todesmaske, wie die Soldaten ihre
Arbeit unterbrachen, sie anstarrten und wie das grobe schwarze Tuch ihres Hemds
auf ihrer Haut kratzte.
Seit vier
Jahren, jeden Tag seit ihrem zwölften Geburtstag, hatte sie diesen Tanz geübt,
die Schritte, die sie mit ihrem Partner machen musste, die Figuren, die sie
allein zu tanzen hatte. Aber mit einem Fremden getanzt, das hatte sie bis zu
diesem Abend noch nicht.
Ihr Gesicht
hinter der Maske war glutheiß, nass vom Schweiß, als sie vor dem Zelt des
Kommandeurs der feindlichen Armee stehen blieb. Sie war noch nicht bereit. Sie
hatte einen Brechreiz.
Der Wächter
hob
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