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Silberschwester - 14

Silberschwester - 14

Titel: Silberschwester - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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sie ihr den Rücken zu, starrte
steif zu den Soldaten hin und suchte nach Bekannten unter ihnen. Die wenigen
Frauen waren, an den hochgebundenen langen Haaren, am leichtesten auszumachen.
    Ein einsames
Horn rief. Als sein tiefer Ton erstarb, drehten sich die Schiedsrichter um und
blickten in die Runde. Da erstarrten die Soldaten mitten in ihren Bewegungen,
wie zu Skulpturen – der eine noch die Hand erhoben, um sich am Kinn zu kratzen.
    Da winkte der
Schlichter, der ihr zunächst stand – und schon sank ein Soldat jäh zu Boden.
Und auf den Wink eines anderen fiel ein weiterer. Hellia blickte sich nach den
feindlichen Linien um. Reglos standen die Soldaten, erstarrt, aber jetzt fiel
einer, und dann der nächste. Es war kein Blut und keine Verletzung zu sehen.
Nein, die Richter bezeichneten die, die laut dem Wort der Göttin, in der
normalen Schlacht gefallen wären – und die, so sie Pech hätten, vielleicht noch
sterben müssten.
    Hellia
schluckte Galle und starrte zu Boden, unfähig, diesen Anblick länger zu
ertragen. Später würden diese Richter, als Beweis der Barmherzigkeit ihrer
Göttin, elf von je zwölf der Gefallenen gehen lassen – heil an Fleisch und
Gliedern. Von den übrigen Gefallenen würde sie dann die des Feindes töten, die
gegnerische Todestänzerin aber die von ihrer Seite.
    Sie sah den
ganzen Tag lang zu Boden. Einmal kroch ihr eine Ameise übers Bein. Die Sonne
stieg hoch, sank langsam wieder. Eine Stunde vor Sonnenuntergang tönte ein
Horn.
    Hellia blickte
auf. Die Soldaten bewegten sich wieder, bloß die Gefallenen nicht, die still
auf der Erde lagen.
    Jetzt stiegen
die Schlichter, mit langen Schatten vom tiefen Licht, den Hügel hinab. Und sie
schritten die Linien entlang und blieben stehen, um von je zwölf hingestreckten
Gestalten elf mit ihrem Stock zu berühren. Und elf von je zwölf Gefallenen
standen auf, um in ihre Reihen zurückzukehren … Und als die Richter fertig
waren, waren nur noch zwei Dutzend Gefallene übrig.
    Hellia erhob
sich. Neben sich sah sie die andere Tänzerin – zum Schlachtfeld unterwegs wie
sie. Sie imitierte sie nicht; diese Schritte musste sie selbst, selbständig
gehen.
    Hinab ging es,
hinunter aufs Feld und zum ersten Feind. Ein Mann im mittleren Alter, mit einem
Furunkel über dem rechten Auge. Sie fühlte sich leer innerlich, so bar der
göttlichen Gnade, als sie zu ihm kniete. Sie nahm seine Hände, öffnete die Tore
ihres Bewusstseins und griff in seine Gedanken.
    Furcht rammte
sich in sie.
    Deren Wucht
warf sie auf die Hacken zurück, einfach, brutal. Aber sie ließ seine Hände
nicht los, nicht gehen … Endlich schwand die Furcht, da gab sie ihm über ihr Geistesband
ein Bild ein: Er stand in schwindelnder Höhe, auf dem Kliff hoch überm grauen
Meer. Die Sonne bahnte einen Pfad von flüssigem Feuer übers Wasser. Eine Möwe
schwebte vorbei, ihre Flugbahn markierte die Kurve des Windes. Der Mann
lächelte, in diesen Anblick versunken, in sich hinein.
    Hellia zog
ihren Dolch und stieß ihn ihm mit Macht zwischen die Rippen, dass das Blut
sprang und spritzte.
    Dann wischte
sie ihre Klinge im zertrampelten Gras ab, erhob sich, mit schwachen,
schwankenden Beinen, ging zum nächsten Gefallenen. Vage vernommenes Geschrei
ließ sie aufsehen: Der gegnerische Hauptmann stritt sich mit den Schlichtern –
eine Nebensächlichkeit, unwichtig, ohne Belang. Sie kniete zu dem Bestimmten,
einem massigen Leutnant mit breiten, schwieligen Händen …
    Als sie sich
wieder erhob, drehte sich ihr alles … Zu ihrer Linken stand jemand und
verstellte ihr den Weg zum nächsten. Der Hauptmann des Feindes. Er sah ihr ins
Gesicht.
    »Warte!
Bitte!«, stammelte er heiser und wies mit unsicherer Hand auf den Liegenden.
»Das ist mein Sohn. Lass mich seinen Platz einnehmen …«
    Hellia
musterte den Hingestreckten. Es war der Junge aus dem Zelt des Hauptmanns, der,
der sich vor ihr gefürchtet hatte. »Nein, Herr Hauptmann. Es gibt keine Ausnahmen,
kein Pardon, keinen Handel.«
    Ihre Worte
waren so leer und hohl wie sie selbst. Sie kniete sich ins Gras und ergriff
seine Hände. Angst schnitt ihr ins Herz. Wie von fern hörte sie den Hauptmann:
»Du glaubst, du brächtest ihn der Göttin dar. Aber du irrst.«
    Sie nahm die
Angst des Jungen an, wartete, bis sie nachließ, begann sodann, in seinem
Bewusstsein ein Bild zu formen – auf einer Klippe, der klagende Schrei einer
Möwe im Wind – aber der Offizier unterbrach sie, riss sie aus ihrer
Konzentration. »Du glaubst, ich

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