Silberschwester - 14
die Trommel rühren ließen, wurde das Gefühl, über
die Haut eines großen Tiers zu tanzen, nicht los. Sie blickte am Hauptmann
vorbei zu den Soldaten in der Runde – da wusste sie für eine Sekunde die
Figuren des Tanzes nicht mehr, den sie Stunde um Stunde und Jahr um Jahr geübt
hatte.
Der Hauptmann
zischte: »Sieh mich an!« Und sie spürte seinen Atem an ihrer Wange.
Erstaunt
starrte sie ihm ins Gesicht: harte Falten, glänzend vom weißen Licht, und nun
las sie abrupt den Hass daraus. Sie stolperte, blieb mit dem Fuß an einem Stein
hängen, und der Hauptmann fing sie hart auf.
Seine Hand
schloss sich schmerzlich um ihre Finger. »Machst du dir über dein Tun Gedanken?
Lässt es dich nicht schlafen?«
Sie war
gefährlich nahe daran zu lachen: Dem Kerl war nicht klar, dass sie das noch nie
getan hatte, dass sie noch nie mit einem Mann getanzt, noch nie getötet hatte –
sie wandte den Blick ab, sah zum Himmel empor.
»Sieh mich
an!«, sagte der Hauptmann. »Ihr habt den Krieg zu einem sauberen Spiel gemacht.
Nicht zu viele Tote und keine verwundeten Krieger, die nach Hause hinken. Du
Miststück …«
Hellia riss
ihn in eine schnellere Umdrehung, sah zu, wie er sich mühte, auf den Beinen zu
bleiben, grub ihm ihre Nägel ins Fleisch. Er bekam es zurück … Sie hatte ihn
nicht dazu gezwungen, ihn nicht zur Schlacht befohlen. Nein, daran war sein
König schuld, und es war ihre Pflicht, die Not, die aus dieser Entscheidung
folgte, so gering wie möglich zu halten. Ihre Pflicht – sie musste daran
denken, welch ruhiges Gesicht Inya bekommen hatte, wenn sie von Pflicht und
Verantwortung redete und davon, dass die Angst die Leute wütend mache.
Inya hatte
sich nie zum Spiegel fremder Angst werden lassen. Das ließe auch sie nicht zu.
Beschämt verlangsamte sie ihren Schritt. Der Hauptmann verzog keine Miene. Sie
konnte nicht zugleich in dieses Gesicht sehen und sich konzentrieren. So machte
sie die Augen zu. Durch die geschlossenen Lider wurde das Licht zu einem
schwachen rötlichen Schein. Und der Boden unter ihren Füßen brüllte wie eine
hungrige Bestie.
»Sieh mich
an!«, sagte der Mann.
Doch Hellia
schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf und konzentrierte sich auf die
Folge der Figuren. Mehr und mehr drängte sie Lärm und Begafftwerden aus ihrem
Bewusstsein, bis nur noch der Tanz war, wo ein Schritt zum nächsten führte … Und
jeder Schritt trug sie weiter weg, hinaus in ein dunkles Zentrum, wo nichts
mehr war als die nächste Bewegung ihres Fußes.
Etwas zog an
ihrer Hand.
Da öffnete sie
die Augen. Der Hauptmann hatte Schweißperlen auf der Stirn. Er atmete schwer.
Der Schiedsrichter, hinter ihm zu sehen, gab das Zeichen zur Beendigung des
Tanzes. Sie hielt an, verbeugte sich einmal vor dem Hauptmann, ohne ihm in die
Augen zu sehen, und verbeugte sich dann vor den vier Richtern.
Dann verließ
sie den Kreis, eilte zu ihrem Lager zurück, um bei Inya zu wachen, die zweite
Nacht seit ihrem Tod.
Beim Morgengrauen fuhr sie
schuldbewusst aus dem Schlaf hoch. Sie hatte doch diese ganze Nacht Totenwache
halten wollen … Die Schulter tat ihr weh: Einfach in den Schlaf gefallen war
sie, auf die Matte neben Inyas Bett. Sie hörte die Soldaten umhergehen, draußen
vor dem Zelt. Da wusch sie sich schnell mit kaltem Wasser die Hände und
richtete ihre Kleider. Dann nahm sie die goldene Maske, hielt aber inne. Legte
sie wieder hin und kniete sich neben Inya.
»Bitte …« Es
hatte keinen Sinn weiterzusprechen. Inya hörte sie nicht mehr. Sie legte der
Toten die Stirn auf die kalte Wange. Die Augen brannten ihr. Sie erhob sich
abrupt, setzte die Maske auf und ging hinaus.
Die beiden
Armeen stellten sich in der Ebene auf. Die Banner flatterten mit dem
umspringenden Wind. Sie schritt durch die vorderste Linie der ihren, ihre
Klingen lohten im Frühlicht. Dort vorn, auf dem vier Mannslängen hohen Hügel
zwischen den feindlichen Heeren, warteten die weiß gewandeten Schlichter: zum
Kreis geschart, die Blicke zur Mitte gerichtet.
Hellia stieg
den Hügel hoch, und der Kreis teilte sich, ihr Einlass zu geben. Im Zentrum
saß, allein, die Todestänzerin des Feindes mit ihrer silbernen Maske.
»Setz dich,
Kind«, sagte die gegnerische Todestänzerin. »Es wird ein langer Tag.«
Etwas an ihrem
Ton erinnerte Hellia an Inya – und das machte sie wütend. Diese Frau hatte kein
Recht, so sanft mit ihr zu sprechen, als ob sie Freundinnen wären, als ob sie
einander je etwas zu sagen hätten. Also kehrte
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