Silberschwester - 14
die Zeltklappe. »Die Todestänzerin!«, meldete er und winkte Hellia hinein.
Sie trat ein.
Das flackernde gelbe Licht der Öllampen an den eisernen Zeltstangen fiel auf
eine abgenützte Einrichtung – schmaler Klapptisch mit zwei Feldstühlen, eine
Matratze auf dem Boden, mit einer schon häufig geflickten Decke darüber,
abgetretene Teppiche. Im Hintergrund des Zeltes saß ein Bursche auf dem Boden
und war damit beschäftigt, einen Rostfleck vom Panzer des Hauptmanns zu
entfernen. Eine ungebärdige Haarsträhne fiel ihm über die Stirn. Er sah auf,
warf einen Blick auf ihre Maske und schaute, da er ihre Augen auf sich
gerichtet sah, rasch zur Seite.
Hellia biss
sich auf die Lippe – der Bursche hatte Angst vor ihr, vor ihrer Maske. Sie nahm
den Blick von ihm, nickte dem zu, der im Dunkel wartete. »Hauptmann!« Er war
kleiner, als sie gedacht hatte, und hatte hervorspringende Wangenknochen. Er
sagte nichts, starrte an ihr vorüber, über ihre Schulter zu dem Wächter, als ob
sie nicht existiere. »Hauptmann, bist du bereit?«
Da sah er sie
kurz an, sah wieder beiseite. »Bringen wir es hinter uns.«
Er ging an ihr
vorüber in die dunkler werdende Nacht hinaus. Sie folgte ihm, vergrößerte ihre
Schritte, bis sie auf gleicher Höhe mit ihm schritt. Der Dolch in ihrem Stiefel
drückte ihr beim Gehen auf die Wade. Die Soldaten bildeten einen großen Kreis
um sie, da auf der größeren Bühne der östlichen Ebene.
Hellia und der
Hauptmann hielten in der Mitte der Szene. Sie musterte ihn von der Seite:
schmales Gesicht mit harten Zügen, die sie nicht zu deuten wusste. Die
Nachtluft war kühl, aber ihr war es zu heiß. Hemd und Hosen kratzten, juckten.
Inya, ihre Lehrerin, sollte jetzt hier sein … nicht sie.
Aber Inya lag
drüben in ihrem Lager, tot. Sie hatte gemeint, sie schlafe noch, sich darum, um
die Ältere nicht zu stören, erst gegen Mittag in ihr Zelt gewagt. Inya hatte
die letzten Wochen immer so müde gewirkt … Als sie hineinkam, hatte die
Totenstarre eingesetzt, war ihr Mund ganz verzerrt gewesen. Solange Inya so
aussah, ließ sie keinen ins Zelt. Inya hätte nicht allein sterben sollen, ganz
ohne Trost, Beistand, ohne Zeugen – aber die Würde, die ihrer alten Lehrerin so
wichtig gewesen war, konnte sie ihr wenigstens zurückgeben. So hatte sie sich
eine halbe Stunde bemüht, ihr das verzerrte Gesicht zu glätten, hatte das kalte
tote Fleisch zurechtgepresst. Ihr schauderte, und so schob sie die Erinnerung
daran beiseite.
Da öffnete
sich der Kreis, um vier weiß gewandete Schlichter hereinzulassen, außer ihnen
beiden nun die einzigen Personen im weiten Rund. Und als der größte der Richter
die Hand hob, verstummten die Soldaten ringsum jäh. Nichts regte sich mehr als
der Wind, der einen Hauch vom süßen Duft der Heidelbeere mit sich trug.
Hellia hörte
sich selbst atmen, viel zu schnell atmen, hörte das Atemgeräusch des Hauptmanns
neben sich. Sie sah kurz zu ihm auf, in dies Gesicht mit der harten Miene, die
sie nicht zu lesen verstand.
Da zeigte der
Schlichter auf den Hauptmann. »Akzeptierst du, im Namen deiner Krieger und
deines Königs, unseren Spruch in der morgigen Schlacht?«
»Ich
akzeptiere ihn.«
Darauf wandte
sich der Richter an Hellia. »Erklärst du dich bereit, gemäß den Traditionen
deines Ordens, unser Urteil zu vollstrecken?«
»Ja«, sprach
sie. Aber sie wusste nicht, ob sie den nächsten Schritt dieses Weges gehen
könnte. Sie fühlte sich innerlich so leer, ohne den Segen ihrer Göttin. Inya
hatte gesagt, die Göttin käme rechtzeitig zu ihr. Aber die Zeit war vorbei und
sie noch immer allein.
»Zur
Besieglung eures Abkommens«, verkündete der Schlichter, »und zur Ehre der
Göttin, die uns alle in ihren Händen hält, beginnt denn den Tanz.«
Der Hauptmann
trat vor Hellia hin und fasste mit bloßer Hand nach ihrer Linken. Und da er sie
berührte, flammte ein weißer Lichtball, von den Schlichtern gezaubert, über
beiden auf.
Die jähe
Helligkeit ließ ihre Augen tränen … Sie legte dem Hauptmann die Rechte auf die
Schulter und fühlte die seinige auf ihrem Rücken, schwerer als Inyas Hand und
so fremd. Der Atem stockte ihr, als sie den ersten Schritt tat – steif und
schwerfällig, unter den starren Blicken aller. Der Mann roch nach Lampenöl und
Schweiß.
Sie machten
den nächsten Schritt und den nächsten. Jedes Mal, wenn ihr Fuß die Erde
berührte, erscholl ein dumpfer Schlag. Und sie, wohl wissend, dass die Richter
zur Beschwörung ihrer Göttin
Weitere Kostenlose Bücher