Silberschwester - 14
zu
fassen, und ihr Schwung brachte sie beide zu Fall. Die junge Frau war sofort
wieder auf, auf den Knien, kampfbereit … Aber Borglind lag, wohin sie gefallen,
stieß nur seltsame, halb erstickte Laute aus, wies dabei mit weit
ausgestreckter, zitternder Hand auf den Grabeingang.
Das ist bloß
der Nebel, der ist so dick und zäh, sagte Bera der gesunde Menschenverstand.
Doch die Magierin in ihr, die sagte etwas anderes. Jener Nebelfetzen hatte eine
Form, und die wurde zusehends handgreiflicher … bis Bera hinter dem Weidenkorb,
in dem die Zwillinge lagen, einen Krieger sitzen sah, der nach Art und Weise
der Alten behelmt und gewappnet war und sein blankes Schwert quer über den
Schenkeln liegen hatte.
Eine Weile
starrte sie ihn einfach an … Der Geist erwiderte ihren Blick, und er war in
jeder erdenklichen Weise wie ein lebendiger Mensch, nur dass er eine Blässe an
sich hatte und etwas Fremdartiges in den Augen – keine Leere, sondern eine kaum
fassbare Lebhaftigkeit. Bera schluckte. Was immer er war … er schien bereit zu
sein, ewig so stumm zu warten und zu starren.
»Bera heiße
ich, Tochter von Steinbjorn bin ich«, flüsterte sie da, eingedenk ihrer
Ausbildung. »Ich wandle zwischen den Welten, habe mit gewaltigen Mächten
gerungen. Sag an, Geist, der hier am heiligen Hügel haust, bei welchem Namen
nenne ich dich?«
Da richtete
sein unheimlicher Blick sich zum ersten Mal ganz auf sie, und sie erbebte, wich
aber nicht von der Stelle.
»Halfclan bin
ich, Sohn von Ulfgrün und mit Halvor über viele Väter verwandt. Lange schon
wache ich über dieses, mir teure Land.« Jetzt sah er ihr fest in die Augen, und
da vernahm sie in sich die ganze lange Geschichte jener Jahre. »Warum«, schloss
er dann, »wendest du dich an mich?«
»Um der
Zwillinge willen, die ich in Sicherheit wissen muss.«
Er fixierte
Borglind … und die wimmerte und bedeckte ihre Augen.
»Du hast sie
eben nicht gut behütet, aber ich habe über sie gewacht, während die Welt auf
den Morgen zuging.«
Bera errötete.
Doch dann kam ihr ein Gedanke:
»Wenn Sunna
aufgeht, bringe ich sie der Mutter zurück. Aber sie sind noch nicht gesegnet,
mögen sie auch wachsen und gut gedeihen. Sage an, Geist, der du die Anderwelt
gesehen hast, sage an, ob sie wirklich von menschlicher Art sind.«
Noch schien
Halfclan von fester Gestalt, doch schon begann da ein Wind den Nebel vom Feld
zu heben.
»Aus meinem
Stamme sind diese Kinder wahrhaftig entsprungen«, sprach er lächelnd, »mag auch
ihr Vater fern noch sein. Als Stammvater erhebe ich Anspruch auf sie und gebe
ihnen diese Namen …« Damit beugte er sich über das Mädchen, schlug ein Zeichen
über ihrer Stirn. »Alfhild heiße sie, denn sie zu schützen, greift Alf zu den
Waffen. Und der heiße Alfhelm, denn sein Haupt steht unter meinem Schutz …«,
sprach er und segnete den Jungen.
Und in diesem
Moment kam die Sonne über den Wald.
Die plötzliche
Helligkeit ließ Myriaden von Wassertröpfchen blitzen, sodass Bera völlig
geblendet war. Als sie wieder etwas sah, war Alf verschwunden. Ganz verwirrt,
dachte sie einen Moment lang, das alles nur geträumt zu haben. Aber die Weise
von Halvors Stamm klang in ihrem Gedächtnis wieder, und die Zwillinge, ihr Korb
und die Tücher, in die sie gehüllt waren … waren ganz trocken. Nur dass auf
jeder der kleinen Brauen ein paar Tautröpfchen glitzerten.
»Alfhild,
Alfhelm! Seid willkommen in der Welt!«, flüsterte sie, hob die Zwillinge
sorgsam aus dem Korb und knüpfte sie sicher in ihren Umhang ein. Und sie
weinten und sie schrien nicht, sondern suchten, sobald sie ihre Wärme spürten,
bloß hungrig und gierig nach ihrer Brust. »Am besten, ich bringe euch zu eurer
Mutter zurück, ihr Kleinen!«
Borglind lag
noch still und reglos, wohin sie gestürzt war. Wenn sie sich wieder erholt
hätte, würde sie Beras Bericht vielleicht infrage stellen … aber das von Alf
empfangene Wissen wäre wohl Beweis genug dafür, dass die Zwillinge von Halvors
Stamm waren. Und doch kam es Bera in den Sinn, wie sie so mit den beiden über
das Feld zurückging, als ob alle Kinder Wechselbälge wären: strahlende Geister,
wiedergekehrt … von wo auch immer sie zwischen den Leben weilten … um den
verletzlichen Leib eines Kindes in einer unfreundlichen Welt zu bewohnen.
Der Abschied
von den Zwillingen fiele ihr schwer, wenn sie mit Groa weiterzöge. Aber die
zwei bräuchten sie nicht, sie hatten ja ihre Sippe gefunden. Und ihr eigener
Weg, das war ihr jetzt
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