Silberschwester - 14
Armand und mir und bat uns, einmal
mitzukommen, führte uns dann zu der Todeskatze, die den armen Karran getötet
hatte, und deutete auf deren Schädel. »Fällt euch etwas auf?«, fragte sie bloß.
Armand und ich strengten unsere Augen an – schüttelten aber schließlich den
Kopf. »Ich will euch helfen«, sagte sie und legte uns die Hände auf den Kopf.
Ein
merkwürdiges Gefühl gab das, eine seltsame Mischung aus Erschlaffung und aus
Schärfung der Sinne: Tanil ließ uns an ihrer Hexensicht teilhaben, ja, dehnte
sie aus … und ließ uns sehen, was sie sah. Nun musterte ich den Todeslöwen von
Neuem, ohne erst jedoch etwas zu entdecken. Dann gingen mir aber wirklich die
Augen auf!
»Es ist
Karran!«, rief ich aus.
»Bei den
Göttern, profan und besudelt!«, war Armands, recht poetische, Reaktion.
»Ja«, seufzte
Tanil. »Es ist wirklich Karrans Tod. Sie waren beide alt, und die Todeskatze
war bereit hinüberzugehen, um Karran am Ende seines Lebens zu begegnen.«
Damit ließ sie
uns, und es schwand meine Vision. Aber nicht die Erinnerung daran.
»Karran
Taillans Schicksal war es wohl, hier seinen Tod zu finden«, murmelte Armand,
fast ungläubig.
»Ich weiß
nicht, ob ›Schicksal‹ hier denn das richtige Wort ist«, erwiderte Tanil. »Da
mögen Kräfte der Natur oder des Obskuren am Werk sein, die sich unserer
Kenntnis entziehen. Und es kann ganz einfach der bizarrste Zufall gewesen sein.
Aber Karran hat offenbar seinen eigenen Tod gejagt, und der hat ihn gefunden.«
Wir standen da noch lange Zeit, jeder so in seine Gedanken versunken, ehe wir
zu unseren Zelten zurückkehrten.
Es ist Winter
hier in Dienni, da ich diesen Abschlussbericht schreibe. Ein Gericht Diennis
hat die drei des Mordversuchs, während einer Safari in der Anderwelt, für
schuldig befunden und zu schweren Geldstrafen verurteilt. Arslan Ashailli hat
zwar Gut und Gestüt behalten, aber doch den Großteil seines Vermögens verloren.
Und Ronelli Amandor darf nicht mehr als Anwalt praktizieren und musste eine
empfindliche Geldstrafe bezahlen. Er hat Saha geheiratet und wohnt nun mit ihr
bei ihrem Onkel. Sie hat aber alle Rechte am Erbe ihres Mannes verloren. Es ist
unter seinen Verwandten aufgeteilt worden.
Die Fangzähne
des Todeslöwen hängen nun über meinem Kamin. Armand und ich haben (mit der
Hilfe eines Ghostwriters) über die Vorfälle auf dieser Safari ein Buch
geschrieben und ein hübsches Sümmchen damit verdient. Mir haben diese Einkünfte
erlaubt, mir im besseren Viertel der Stadt ein schönes Haus zu kaufen. Ich
leite noch immer Safaris, frage mich jedoch, ob nicht irgendwo nun eine
Todeslöwin auf mich wartet. Tanil meint, das sei gut möglich, aber der Tod
finde uns alle, wo immer auch wir sein mögen. Ich werde ja sehen …
DEBORAH
WHEELER
Deborah gehört auch zu den Mitgliedern
unserer »erweiterten Familie«, die wohl für die meisten meiner Anthologien
(wenn nicht alle) eine Story geliefert hat. Sie ist inzwischen in sehr vielen
Sammelbänden vertreten und hat sogar schon zwei Romane veröffentlicht: Jaydium sowie Northlight (Daw Books). Sie hat zwei Töchter – von »kleinen Mädchen« zu
reden, wäre allerdings nicht mehr korrekt: Sarah, die eine, schaut sich schon
Colleges an, und Rose, die noch ein Säugling war, als ich sie zum ersten Mal
sah, spielt inzwischen bemerkenswert gut Klavier. Aber das tun, genau genommen,
beide, nur mögen sie es nicht gern, damit erwachsenen Besuchern »vorgeführt« zu
werden.
Wer weiß,
vielleicht findet man einmal eine von ihnen, oder auch alle beide, bei der
schreibenden Zunft!
Deborahs
Erzählung dreht sich, wie die von Diana Paxson, um Zwillinge und um die
Vorkehrungen und die merkwürdige Reise zu ihrer Befreiung. – MZB
DEBORAH
WHEELER
Eine einzige
Seele
In dieser Sommersonnwendnacht lief
eine sanfte Brise durchs Steppengras und flüsterte den in ihren Zelten
schlummernden aschkantianischen Nomaden in ihre tiefsten Träume. Gen Osten
ragten steil und still die Berge, deren höchste Gipfel bloß noch Schnee und Eis
bedeckten. Und von dem einsamen Hügel zu ihren Füßen sandte ein Sonnwendfeuer
aus einem uralten Steinkreis Rauchwölkchen zum Himmel auf.
Ein bejahrter
Enaree in seiner Robe voll magischer Zeichen, fein mit Gold- und
Blutsafranfäden aus dem fernen Meklavan ausgeführt, mühte sich zur Spitze des
Hügels hinauf.
Dort oben
empfingen ihn zwei blutjunge Frauen, die einander glichen wie ein Ei dem
anderen. Das flackernde orangefarbene Licht des
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