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Silberschwester - 14

Silberschwester - 14

Titel: Silberschwester - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Blitz.
    Das Netz hatte
sich während dieser wenigen Augenblicke zur klebrigen Membrane verdichtet und
verdickt. Dunkle Schatten quollen über den Steinkreis hinaus und gewannen an
Substanz und Form. Und die Nachtluft, die knisterte elektrisch – wie von
Blitzen schwanger.
    Schwarze
Schemen strömten zwischen den ragenden Steinsäulen herein und nahmen feste
Gestalt an. Eines dieser Wesen, mit dem schimmernden Skorpionzeichen, dem
Symbol des Qr auf der Stirn, überragte die anderen um Haupteslänge. Und jetzt
hob sich ein Krummschwert zum Schlag.
    Seylana nahm
es aus dem Augenwinkel wahr. Doch Verzweiflung erfasste sie – denn sie sah es
nicht aus der doppelten Sicht beschleunigten Wandels, sondern aus bloß einem
Blickwinkel.
    Zu spät …
    Blutüberströmten
Gesichts erhob sich jäh der Enaree aus dem Dunkel und stürzte sich mit dumpfem
Schrei auf den düsteren Qr. Und die Gestalt wirbelte herum, führte das
Krummschwert zum horizontalen Hieb …
    Lauthals
schrie Seylana auf, als jene funkelnde Klinge ihre Zwillingsschwester traf. Der
Schlag und Schock ließen ihr das Mark gefrieren. Und das Netz loderte und
verglühte, zerfiel zu rieselnder Asche. Also setzte sie all ihre Kraft in einen
letzten Versuch, die Einheit zu erreichen, und langte durch die explodierenden
Dunkelheiten nach ihrer Schwester, ihrer Seele, ihrem Ich …
     
    Grelles Licht versengte ihr wie
Sonnenbrand die Augen. Eine Brise strich ihr über die bloße Haut. Ihre Finger
schlossen sich um seltsam schlaffes, klebriges Riesengras. Der Rücken brannte
und schmerzte ihr, als ob sie den ganzen Tag in der gnadenlosen Sonne gelegen
hätte … Aber am allerschlimmsten war doch das unbeschreibliche Gefühl des
Verlusts, völliger Leere.
    Ich habe meine
halbe Seele verloren.
    Sie hob den
Kopf, doch nun wurde ihr schwindlig, schwamm ihr alles vor Augen. Auch der
Versuch, den Blick auf die alten, heiligen Steine zu konzentrieren, half ihr
wenig. Blinzelnd machte sie anderes aus, die Überreste des Feuers, verdrehte
Bündel, Leichen vielleicht … und Fetzen bunten Stoffs. Da ließ sie den Kopf
zurücksinken und schlief wieder ein.
    Flüstern,
Gemurmel weckte sie zum zweiten Mal. Sie erkannte die Stimmen nicht und wusste
doch genau, dass sie sie kannte. Sie hörte Sorge aus diesem Gemurmel heraus und
fühlte, wie Hände sie anhoben, eine Decke um sie schlugen, die kratzte, dass
ihr die Haut juckte. Sie fühlte sich getragen und sanft wie ein Säugling
gewiegt und sah, wie in einem jähen Traum, einen Zelthimmel über sich … dicker,
grauer Filz, mit dem stilisierten Bild der Löwin bestickt, das ihr vertraut war
wie ihr eigener Herzschlag.
    Tagelang,
erzählten sie ihr später dann, lag sie im Fieber. Sie aß, was man ihr in den
Mund steckte, sie erhob sich auf Geheiß der Heilerin und ging umher.
    Als der Sommer
zu Ende ging, verlegte man das Lager. Seylana transportierte man zuerst auf
einer Schleppe, die ein schon gesetztes Kamel zog. Später hielt sie zu Fuß mit.
Die Kraft dafür nahm sie aus der Weite des Himmels über sich und dem süßen Duft
des Präriegrases, der ihr die Lunge füllte.
    Aber die
Heilerin musste ihr alles sagen und die einfachsten Dinge erklären: den eigenen
Namen, wie man sich anzieht und sich wäscht, wie man isst und trinkt und wie
man einen Bogen spannt und ein Pferd reitet.
    Warum fühle
ich mich so einsam und allein?, fragte sie immer wieder, wenn sie über ihre
Schale Kamelquark gebeugt saß.
    Du hast deine
Schwester verloren, sagte dann diese Frau, die ihres Vaters Mutter war. Und wir
alle haben unseren Enaree verloren. Da ist niemand mehr, der dich führen
könnte, mein armes verlorenes Kälbchen.
    Wie hieß sie?
Sag es mir noch einmal.
    Meri,
wiederholte sie dann, wenn sie in den grauen Stunden der Nacht wach lag, die
Arme um Brust und Bauch gelegt, als ob sie die Leere umschließen könnte.
Meriadess. Und bei jeder Nennung dieses Namens schoss ein Schmerz wie von einer
unheilbaren Wunde in ihr auf.
    Der Sommer
hatte das hohe Gras zu Zunder gedörrt. Da fegten Sturmwolken über den unendlichen
Himmel, die Blitze, Donner und Wolkenbrüche brachten. Die Nächte wurden kühl
und kalt. So trieben die Aschkantianer ihre Herden sommerfetter Kamele gen
Süden, zu den Winterweiden. Dort versammelten sich die Stämme und boten Händler
aus Gelon und dem fernen Meklavan ihre aus Salmos Minen und den Gewürzländern
kommenden Waren an – Salz und Silber, Bernstein und Myrrhen und getrocknete
Früchte aller Art. Hier maßen

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