Silberschwester - 14
Ashóli
hatte sie zur Seite genommen und flüsterte ihr hastig etwas ins Ohr. Jetzt
fasste Eysla nach Ashólis geflecktem Fellcape, um es zu streicheln – und zog so
jäh die Hand zurück, als ob sie sich verbrannt hätte. Ich ließ die zwei
gewähren, obwohl ich mir da von bloßen Worten nicht zu viel Nutzen versprach,
und machte mich an meine tägliche Arbeit … Und es ging viel Zeit hin, bis die
beiden wieder zu mir kamen.
Erst war lange
ein lastendes Schweigen zwischen uns, während wir so arbeiteten – aber
schließlich sagte Eysla: »Ich habe mich immer gefragt, wie es wohl wäre.«
Da sah ich sie
fragend an.
»Ich habe oft
geträumt, Sunna zu sein, richtig sie zu sein, vierfüßig über die Hügel zu
rennen und frei zu sein von dem, was alle von mir erwarteten.«
Ich lachte
kurz und höhnisch. »Ist das alles, was du dir als Freiheit erträumen kannst?
Mit Sattel und Zaumzeug gebändigt und beschwert zu sein und irgendeinen Mann
auf dem Rücken zu tragen? Das scheint mir nicht viel anders als das Leben, das
du führst!«
Da sah sie zur
Seite. Ashóli jedoch starrte sie mit einem so abwesenden Blick in den Augen an!
Wenn ich gewusst hätte, was sie dachte, hätte ich Eysla auf der Stelle
fortgeschickt … Gefahr hin, Gefahr her.
Aber der
Verdacht, dass Ashóli etwas im Schild führen könnte, kam mir erst einige Tage
später. Ich war im Dorf gewesen – unter irgendeinem Vorwand, aber vor allem,
weil ich Goalnen lang nicht mehr gesehen hatte. Es gab zwischen uns beiden ein
gewisses Einverständnis, aber auf Einverständnisse allein kann man ja auch
nicht bauen … Als ich so am Nachmittag des folgenden Tages heimkam, fand ich
das Stutenfell nicht mehr vor – und von Ashóli und Eysla war auch gar nichts zu
sehen. Da beschlich mich ein so schrecklicher Verdacht, dass ich mir gleich
Gewissheit verschaffen musste! Oh, wie ich hoffte, mich zu irren …
So lief ich zu
der Wiese, wo wir immer unsere Übungsstunden abhielten, und da fand ich Ashóli:
Sie saß auf einem Stein und sah einer grauen Stute zu, die dort am Ende der
Lichtung herumtollte.
»Was hast du
getan?«, rief ich. »Sie ist ja keine Kaltaoven und wird noch wahnsinnig werden,
so in einem Balg gefangen!« Da sah ich, wie sich die Stute am anderen
Wiesenende in die junge Fremde verwandelte, die uns nun zuwinkte. Was sie dazu
rief, verstand ich nicht, aber dafür sah ich, dass sie ihren Fellumhang fest um
sich zog und mit einem Schlag wieder zum Pferd wurde. »Du hast ein Lied für sie
gemacht!«, sagte ich, Entsetzen in der Stimme.
Ashóli sah
mich an, mit vor Erregung leuchtenden Augen, und lachte: »Aber begreifst du
denn nicht? Die Zauberkraft liegt im Lied, nicht in der Sängerin oder auch nur
in der Sprache, in der es gehalten ist. Jeder kann also einen Balg tragen!«
Da fasste ich
sie an den Schultern und schüttelte sie wie ein ungezogenes Kind. »Glaubst, das
sei etwas Neues? Glaubst du, das hätte vor dir noch keine versucht? Natürlich
können Außenseiter unsere Lieder lernen, das habe ich schon selbst erlebt. Aber
für uns bedeutet das immer Unglück und Tod. Sie haben keinen Halt, haben keine
Traditionen, keinen Clan. Sie verlieren den Verstand, und dafür gibt man uns
die Schuld … Was hast du dir nur dabei gedacht?«
»Ich dachte,
dass sie sich das wünscht«, erwiderte Ashóli da, etwas gedämpft, aber nicht
überzeugt. »Sie bat so darum, es am eigenen Leibe zu erfahren. Und ich wollte
einfach sehen, ob ich es könnte. Sie kann lernen, was sie braucht.«
»Von wem?«,
fragte ich. »Dein Clan wird sie ja nie aufnehmen. Und ihre Leute werden sie als
Hexe, als Monster verteufeln und fürchten, genau wie uns.«
»Sie kann es
von mir lernen«, versetzte sie trotzig.
Ich ließ sie
los und versuchte es noch einmal: »Und was ist mit deinen Verpflichtungen
gegenüber deinen Leuten? Was mit den Liedern, die du ihnen schuldest?«
»Ich?«, fragte
sie. »Das war dein Teil des Handels … ihnen die Balgsängerin zu geben. Und
meiner, dir drei Jahre meines Lebens zu geben, wie geschehen. Ich habe ihnen
letztes Jahr neun Lieder gegeben, plus die zwei noch nicht abgeforderten, und
damit sind wir quitt. Du wirst Goalnen heiraten und zu ihnen gehen. Was
brauchen sie da mich noch?«
Aus ihrer
Stimme klang eine Entschlossenheit, die nicht erst durch Eysla entstanden war.
»Was willst du also tun?«, fragte ich.
Nun bekam sie
wieder diesen abwesenden, träumerischen Blick. »Ich möchte reisen, wie du
früher. Ich will Dinge sehen, ja,
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