Silberstern Sternentänzers Sohn 01 - Der geheimnisvolle Hengst
„Ich hab mir große Sorgen gemacht“, sagte Pawell, der neben Rocco am Feuer saß. „Erst die Geschichte mit der Polizei und dann das mit euren Pferden.“ Er schüttelte den Kopf. „Was war denn nur los mit euren Tieren?“
Rocco erzählte, was der Tierarzt gemeint hatte. „Und weißt du, was er als Erklärung angebracht hat?“, schloss Rocco. „Die Pferde seien gestresst.“ Er spuckte das letzte Wort aus wie eine verfaulte Tomate. „Dass ich nicht lache. Annit und die Carrillos tun doch alles, damit sich die Tiere wohlfühlen.“
„Ganz genau“, bestätigte Annit, die froh war, dass es Silberstern und den anderen Pferden wieder gut ging. Den ganzen Nachmittag hatte sie bei den Tieren verbracht und nach ihnen geschaut. Schließlich war sie mit Silberstern noch ausgeritten.
„Aber irgendwas ist da oberfaul“, erklärte Pawell. „Das sagt mir mein kleiner Zeh.“
„Der rechte oder der linke?“, fragte Rocco und grinste.
„Beide“, gab Pawell zurück und blickte seinen Freund ernst an. „Du solltest das Ganze nicht so auf die leichte Schulter nehmen. Wer weiß, was noch passiert!“
„Aber das tut er doch gar nicht“, warf Annit ein, bevor Rocco antworten konnte. Sie wusste, wie sehr ihn diese Geschichte belastete. Doch Rocco ließ sich nun mal nicht so schnell unterkriegen.
„Nein, tu ich auch nicht, Annit.“ Rocco lächelte ihr zu. „Pawell hat ja Recht. Aber trotzdem müssen wir weiter machen.“ Er starrte ins Feuer. „Ich weiß nicht, warum die Pferde gestern durchgedreht sind. Aber sollte da jemand seine Finger im Spiel gehabt haben, wird er mich von meiner besten Seite kennenlernen.“ Er wirbelte mit der Faust in der Luft herum.
Annit zuckte zusammen. Also glaubt Rocco auch, dass irgendjemand dahintersteckt? Hat er den fremden Jungen vielleicht bei den Pferden gesehen und wartet jetzt nur darauf, dass der wieder auftaucht, um ihn zur Rede stellen zu können? Annit schüttelte es bei dem Gedanken. Wenn Rocco sich den Jungen vorknöpfen würde, konnte der wahrscheinlich froh sein, wenn er mit einem blauen Auge davonkam. Auf der anderen Seite konnte Annit Roccos Wut sehr gut verstehen. Auch wenn diesmal zum Glück alles noch einigermaßen glimpflich abgelaufen war.
Rocco wandte seinen Blick wieder vom Feuer ab und schaute in die Runde. In lauter betretene Gesichter. Er klatschte in die Hände. „Jetzt lasst uns nicht länger Trübsal blasen“, rief er. „Die ganze Geschichte hat uns schon genug Nerven gekostet.“ Er nickte José zu. „Schnapp dir deine Gitarre und spiel uns was vor, damit wir auf andere Gedanken kommen.“
Als hätte José nur auf dieses Stichwort gewartet, holte er sofort seine Gitarre aus dem Wohnwagen. Er griff in die Saiten und spielte zur Freude aller eine seiner wilden, feurigen Melodien.
Annit lauschte hingerissen. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie sie auf Silbersterns Rücken dahingaloppierte, schneller und immer schneller, während ihre langen Haare im Wind wehten. Silbersterns Hufe schienen kaum noch den Boden zu berühren. Annit war, als würde sie mit ihm durch die Luft fliegen, schwerelos, immer weiter, um die ganze Welt. Es gab nur Silberstern und sie, und sie würden für immer zusammenbleiben.
Als die Melodie verklungen war, schlug Annit langsam die Augen wieder auf. ln diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass Silberstern ihr gehören würde. Dann könnte niemand sie jemals wieder trennen. Aber Silberstern gehörte Rocco - und nicht ihr. Obwohl Rocco ihr Silberstern fast völlig überließ.
Schnell wischte Annit den Gedanken beiseite. Sie wollte sich an diesem Abend nicht den Kopf darüber zerbrechen, was die Zukunft für Silberstern und sie bringen würde. Wichtig war jetzt einzig und allein, dass es dem Hengst wieder gut ging und dass sie zusammen waren.
Als die anderen sich dann zu später Stunde in ihre Wohnwagen zurückzogen, ging Annit noch einmal zu Silberstern - als müsse sie sich vergewissern, dass sie tatsächlich zusammengehörten. Silberstern stand ruhig da. Seine dunklen Augen glänzten im hellen Mondlicht wie zwei kostbare Diamanten. Behutsam strich Annit über seine schwarze, samtige Mähne, dann über den weißen Keilstern auf seiner Stirn. Der junge Araberhengst verharrte reglos. Er blickte sie nur mit seinen dunklen Augen an, als könne er von ihrem Gesicht ablesen, was in ihr vorging. Plötzlich warf er seinen Kopf hin und
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