Silberstern Sternentänzers Sohn 01 - Der geheimnisvolle Hengst
Sie kannte jeden Handgriff und wusste, worauf es ankam.
Heller Feuerschein erfüllte die Manege, als Rocco eine gewaltige Flamme spie. Dann reichte Annit Rocco die lodernden Fackeln, die er entzündet hatte. Der dicke Mann stand starr wie eine Statue da, als riesige Feuerkreise über seinen Kopf wirbelten.
Tosender Applaus schallte schließlich durch das Zelt, als die drei sich verbeugten. Der dicke Mann schien vor lauter Stolz mindestens einen halben Meter gewachsen zu sein. Immer wieder verbeugte er sich tief vor dem Publikum, während Rocco Annit verstohlen zuzwinkerte.
„Das war das Tollste, was ich je erlebt habe“, meinte der Mann, als sie wieder draußen waren. Er zog den Umhang aus und nahm den Turban vom Kopf. „Wenn Sie mich mal wieder brauchen können ...jederzeit gern.“ Er reichte Rocco die Sachen. „Und wegen der Geschichte vorhin ... tut mir leid“, fügte er ein wenig kleinlaut hinzu.
Rocco winkte ab. „Wie ich schon sagte, jeder kann mal einen schlechten Tag erwischen.“
Annit verabschiedete sich mit einem sehr freundlichen Lächeln von ihm und huschte davon. Sie wollte zu Silberstern und wissen, wie es ihm ging. Immer noch tänzelte der Hengst unruhig hin und her und ließ sich nicht beruhigen.
Kurz darauf kam auch Rocco. Er warf einen besorgten Blick auf die Pferde. „Kannst du mir kurz dein Handy leihen, Annit?“, bat er. „Meins hat gestern den Geist aufgegeben. Ich will den Tierarzt anrufen. So kann das nicht weitergehen.“
Annit spurtete sofort zu ihrem Zelt. Kurz darauf kehrte sie mit ihrem Handy zurück und reichte es Rocco.
Rocco tippte die Nummer ein, die der Tierarzt ihnen bei seinem ersten Besuch dagelassen hatte. Doch schon nach dem zweiten Klingeln schaltete sich die Mailbox ein. „Verflixt!“, zischte Rocco. „Dieser Mirowski scheint nicht da zu sein.“ Er sprach ihm auf die Mailbox und bat, dass er unbedingt zurückrufen oder am besten so schnell wie möglich vorbeikommen solle. „Ein dringender Notfall“, schloss Rocco, bevor er das Handy zuklappte und es Annit zurückgab.
Dann wandte er sich an die Carrillos, die ebenfalls bei ihren Pferden standen. „Ich hoffe, der Tierarzt taucht bald auf. Sollte er heute Abend allerdings nicht mehr kommen, bleibt einer von euch die Nacht über bei den Pferden.“
„Ich bleib auch hier“, nickte Annit. Sie wusste, dass sie sowieso keinen Schlaf finden würde.
Der Tierarzt tauchte an diesem Abend nicht mehr auf. So verbrachten Annit und Manuel Carrillo die ganze Nacht draußen bei den Pferden. Immer wieder ging Annit der seltsame Junge durch den Kopf. Ich will nicht, dass er mit dem unruhigen Verhalten der Tiere etwas zu tun hat, wehrte sie sich in Gedanken. Schließlich musste sie sich doch eingestehen, dass es keine andere Lösung gab. Wer sonst außer ihm hätte den Pferden etwas geben können?, überlegte sie. Kein anderer Fremder hat sich seit dem Verschwinden des Jungen mehr bei den Tieren aufgehalten.
Annits rätselhafter Traum
Am nächsten Morgen kam dann endlich der Tierarzt. „Ich konnte gestern Abend leider nicht mehr kommen“, entschuldigte er sich bei Rocco, der sich zusammen mit Annit und den Carrillos bei den Pferden aufhielt. „Ich war bei einem Bauern im Nachbarort. Er vermutete, dass seine Schweine einen gefährlichen Virus hätten, daher bin ich die ganze Nacht dort geblieben.“
Annit beäugte den Tierarzt von der Seite. Dafür, dass er letzte Nacht angeblich nicht geschlafen hatte, wirkte er erstaunlich frisch. Sie selbst fühlte sich zerknittert und erschlagen nach der durchwachten Nacht bei den Pferden.
„Was gibt es denn?“, fragte Marek Mirowski sichtlich gut gelaunt.
Rocco und Annit erklärten ihm, was geschehen war.
Der Tierarzt nickte. Dann untersuchte er die Atmung der Tiere, maß mit einem Stethoskop die Herzfrequenz und prüfte die Farbe der Schleimhäute in Augen und Maul. „Blassrosa, wie es sein sollte“, stellte er fest und nahm seine Tasche vom Boden. „Ich kann Sie beruhigen. Krank sind die Pferde jedenfalls nicht.“
Annit fiel ein Stein vom Herzen, doch beruhigt war sie trotzdem noch nicht. „Aber irgendwas stimmt doch nicht“, entgegnete sie zweifelnd. „So unruhig wie gestern hab ich Silberstern noch nie erlebt.“
Juan Carrillo nickte bestätigend. „Für unsere Pferde gilt das Gleiche. Vielleicht waren sie schon mal ein bisschen nervös vor einer Vorstellung, aber sobald sie dann in der
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