Silberstern Sternentaenzers Sohn 04 - Familiengeheimnisse
nichts um sie herum wahrgenommen. Erst jetzt erkannte sie die große Wasserpfeife auf dem Tisch. Entsetzt wich sie einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf.
„Das ist überhaupt nichts Schlimmes“, beruhigte Issan sie. „Die Wasserpfeife gehört bei uns zum täglichen Leben. Sie dient der Entspannung. Und ich dachte, du hast vielleicht Lust auf eine kleine Pause“, meinte Issan ein wenig verlegen.
Annit zögerte einen Moment, dann lächelte sie. „Pause ist okay. Aber ohne Wasserpfeife.“
Issan zeigte auf das Tablett daneben. Darauf standen mehrere kleine Gläser, eine Kanne und ein Teller voll Süßigkeiten. „Aber Tee trinkst du?, erkundigte er sich.
Als Annit nickte, goss er etwas Tee in ein Glas und reichte es ihr. Der intensive Duft von Pfefferminz erfüllte den Raum. Annit kostete den Tee. Er schmeckte sehr pfefferminzig und sehr süß.
Issan hielt ihr den Teller mit Gebäckstücken hin. Rund, klebrig und voller Rosinen. „Probier!“
Annit nahm eins und biss hinein. Es schmeckte sehr süß, aber auch sehr lecker. „Mhmmm, köstlich!“, lobte sie.
„Hat meine Oma gebacken“, erzählte Issan, während er sich im Schneidersitz neben dem Tisch auf ein Polster setzte. „Sie backt die besten Süßigkeiten der Welt.“
„Arbeitet sie auch im Hotel?“, wollte Annit wissen.
„Nee!“ Issan grinste. „Meine Oma denkt noch wie früher. Für sie gehören Frauen ins Haus.“
Annit zog eine Grimasse. „Tolle Einstellung!“
„So war das eben früher. Auch heute noch können viele Frauen hier nicht lesen und schreiben. Wenn eine Familie wenig Geld hat, werden die Söhne in die Schule geschickt, nicht die Töchter. Und die meisten Familien haben hier wenig Geld“, erzählte Issan. „Außerdem können Jungs Lesen und Schreiben beim Militär lernen, Frauen nicht.“
„Die Frauen sitzen zu Hause und stricken“, grinste Annit. „Das wär nichts für mich.“
Issan nahm sich ein Gebäckstück. „Klar, mit der Zeit ändert sich die Einstellung langsam. Die moderne türkische Frau geht arbeiten, kleidet sich westlich. Dennoch bleiben viele Traditionen erhalten. Den Haushalt und die Kinderfürsorge übernimmt oft allein die Frau. Frauen und Kinder der Nachbarschaft und der Verwandtschaft leben dann eng zusammen. Für diese Frauen ist es total schwer, plötzlich ohne ihre vertraute Umgebung auszukommen, wenn sie zum Beispiel mit ihren Männern nach Deutschland ziehen.“
„Und du?“ Annit schnappte sich auch noch ein Gebäck. „Fühlst du dich hier besser als bei uns?“
„Gute Frage!“ Issan überlegte kurz. „In Deutschland bin ich Ausländer, hier nennen sie mich almanci, Deutschländer. Also irgendwie hänge ich so zwischen beiden Kulturen.“
„Berlin ist doch total anders. Kommst du hier nun so einfach klar?“, erkundigte sich Annit.
„Na ja.“ Issan zog eine Grimasse. „Es ist nicht einfach. Ich habe so lange in Berlin gelebt. Es hat erst mal eine Weile gedauert, bis ich wieder richtig Türkisch sprechen konnte.“ Er lachte. „Noch jetzt passiert es mir manchmal, dass ich ein paar deutsche Wörter in mein Türkisch mische.“
„Schon klar, du hast quasi kein Zuhause“, nickte Annit verständnisvoll.
„Mit meinen Freunden von früher bin ich nicht mehr klargekommen. Sie waren neidisch und dachten, ich hätte jetzt die Taschen voll Geld.“ Er seufzte. „Irgendwie gehöre ich überall ein bisschen hin und nirgends so richtig." Er grinste. „Weißt du, was ich so richtig vermisse? ... Die leckeren Berliner Pfannkuchen." Er rollte mit seinen Augen. „Was würde ich für so einen geben.“
„Dachte mir doch, ich hätte Stimmen gehört.“
Annit fuhr herum.
Hinter ihr stand der Mann mit den gegelten Haaren und dem weißen Anzug. Die Hände hatte er lässig in die Hosentaschen gesteckt. „Wo hast du denn dein wunderschönes Pferd?“, fragte er sie beiläufig.
Schlagartig fiel Annit wieder Silbersterns eigenartiges Verhalten ein. Wie nervös der Hengst herumgetänzelt war, mit zurückgelegten Ohren und funkelnden Augen. „Im Stall“, murmelte sie kurz angebunden.
Kopfschüttelnd fuhr der Mann fort: „Schönes Tier, aber noch jung und unerzogen.“
Annit schwieg. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Typen, da war sie sich jetzt vollkommen sicher. Sie beschloss, ihn im Auge zu behalten.
„Wer war das?“, fragte sie Issan, als der Mann wieder weitergeschlendert war.
Issan zuckte die Achseln. „Keine Ahnung,
Weitere Kostenlose Bücher