Silberstern Sternentaenzers Sohn 04 - Familiengeheimnisse
auf.
Annit schüttelte sich innerlich. Wenn ich etwas wirklich hasse, sind es Hülsenfrüchte.
Während sie weiterbuddelte, beobachtete sie ihre Mutter aus den Augenwinkeln. Was könnte ich noch fragen? Ihr Lieblingssänger? Ich weiß ja nicht mal, ob sie überhaupt Musik hört. Lieblingsfarbe, genau.
„Welche Farbe gefällt dir am besten?“ Meine ist Blau, fügte Annit in Gedanken hinzu.
„Gelb“, antwortete Elena.
Nein!, dachte Annit mit einem Anflug von Resignation. Diese Frau hat nichts mit mir gemeinsam. Wenn sie nicht die gleichen Augen hätte wie ich, könnte man fast meinen, ich sei vertauscht worden. Vielleicht ist das ja auch so? Vielleicht gehöre ich gar nicht zu diesen Menschen?, schoss es durch ihren Kopf. Doch im selben Augenblick wusste sie, dass das nur Wunschdenken war. Diese Frau, die gebückt in den weiten Gewändern auf dem Kartoffelfeld kniete, war zweifellos ihre Mutter.
„Ich liebe es, barfuß zu gehen“, erklärte Elena auf einmal, ganz unvermittelt.
„Echt?“ Erstaunt horchte Annit auf. „Ich auch.“
Elena hob den Kopf und blickte sie an. „Es ist nicht einfach, nicht für dich und nicht für uns“, sagte sie leise. „Es ist alles so neu.“ Sie legte ihre Kartoffeln in den Korb, hob ihn hoch und verschwand im Haus.
Mannito war nicht weit entfernt und hatte alles mitbekommen. „Elena ist doch eigentlich nett“, meinte er.
Annit nickte. „Schon. Aber ..." Sie brach ab.
„Aber was?“, forschte Mannito nach.
Annit schnaufte tief durch. „Ich weiß wirklich nicht, ob es richtig war, hierher zu kommen. Schon, Elena ist nett, aber irgendwie befangen. Und Achmed, der redet kaum mit mir und achtet als Bauer nur auf den Nutzen von Tieren. Der lebt in einer völlig anderen Welt als wir.“
„Sie sind eben anders“, meinte Mannito. „Wenn du in der Türkei aufgewachsen wärst, wärst du wie sie. Und deine Welt in Deutschland wäre fremd für dich.“
Annit holte ihre Haare über die Schulter und flocht sie zu einem dicken Zopf. „Diese beiden Menschen sind meine Eltern. Ich müsste sie lieben. Aber ich weiß nicht wie. Sie sind mir so fremd“, sagte sie nachdenklich. Dabei spürte sie tief in ihrem Herzen die Sehnsucht nach ihren Adoptiveltern, nach ihrem richtigen Zuhause in Deutschland.
„Sollen wir nach Hause?“, fragte Mannito, als hätte er ihre Gedanken erraten.
Schwungvoll schleuderte Annit ihren Zopf nach hinten. Alles in ihr schrie Ja! Alles in ihr wollte weg von hier. Doch da war eine leise innere Stimme, die ihr sagte, dass es noch nicht an der Zeit war. Annit zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“
„Von mir aus können wir sofort abhauen“, meinte Mannito leichthin. „Ich hab nichts dagegen.“
Annit stand auf und ging Richtung Haus. „Ich werd’s mir überlegen.“ Sie lief nach oben in ihr Zimmer. Dort hockte sie sich auf den Boden und holte einen Stift und ein Blatt Papier aus ihrem Rucksack.
„Hi, Caro. Wie gehst Dir? Mir geht’s eher durchwachsen. Ich bin hier in einem winzig kleinen Nest in der Türkei, oder besser, in Ostanatolien gelandet. Dedeli heißt es. Die Reise war ungeheuer lang und beschwerlich. Um Geld zu verdienen, sind wir mit unseren Pferden in Hotels aufgetreten. Aber ich habe endlich gefunden, wonach ich so lange gesucht habe: meine Eltern, meine richtigen, leiblichen Eltern: Achmed und Elena. Sie kommen mir noch sehr fremd vor. Vor allem mein Vater ist ein ziemlich verschlossener Typ, er spricht kaum mit mir. Meine Mutter ist nett, aber auch so anders. Ich erlebe ein Wechselbad der komischsten Gefühle. Ich wünschte, Du wärst hier, und ich könnte mit Dir darüber reden. Zum Glück habe ich Silberstern und meinen Freund Mannito. Dos hier ist eine völlig andere Welt. Es ist so merkwürdig, wenn Du plötzlich Deinen Eltern gegenüberstehst und sie Dir völlig fremd vorkommen. Manchmal wünsche ich, ich wäre wieder bei Euch. Melde Dich mal. Liebe Grüße Annit.“
Annit faltete den Brief zusammen, steckte ihn in einen Umschlag und fühlte sich ein kleines bisschen erleichtert.
Voller verwirrender Gedanken schlief Annit an diesem Abend ein, und bald darauf war sie in einem seltsamen Traum gefangen.
Sie ritt auf Silberstern in einen dichten Wald hinein. Sonnenlicht fiel durch die Äste. Es war so grell, dass es wie lodernde
Fackeln schien und Annit blendete. Immer wieder musste sie die Augen zukneifen, um etwas sehen zu können. Sie ritt immer weiter. Bis der
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