Silence
eingesperrt werden? Und darf ich dann, nachdem ich die Wandlung überlebt habe, gleich wieder raus und bin nicht mehr gefährlich?«
Dante grübelte eine Weile nach. »Es liegt wohl an den Schmerzen der ersten Wandlung. Ich stelle mir das vor wie bei einem verletzten wilden Tier. Wenn ein Bär angeschossen wird, ist er unkontrollierbar und sehr gefährlich. Ähnlich wird das bei Wölfen sein. Die Qualen werden dir den Verstand rauben und du wirst dich dem Raubtier vollkommen ausliefern.«
»Hmm, aber wie ist es dann, wenn ich mich später wieder wandle. Bin ich dann nur noch ein instinktgetriebenes Monster?«
Ich erinnerte mich an den Traum, den ich während des Fluges hatte. Mein Geist steckte in dem Wolf, ohne die Möglichkeit, selbst zu handeln. Der Wolf in mir war ohne zu zögern über Giovanni hergefallen – und er hatte es geliebt, als das Blut aus den Wunden quoll, die er Giovanni zugefügt hatte. Ein Schütteln durchlief meinen Körper, als diese Bilder vor meinen Augen auftauchten.
»Das glaube ich nicht. Die Werwölfe, mit denen ich zu tun hatte, handelten immer sehr überlegt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein wildes Tier dazu fähig wäre. Vielleicht wirst du einige Zeit brauchen, die Kontrolle über das Raubtier zu übernehmen, aber ich bin sicher, das wirst du lernen.«
Dann war es das, was uns in Füssen beigebracht werden sollte? Die Kontrolle über das Raubtier zu gewinnen? Wieder wurde mir bewusst, wie falsch ich mich entschieden hatte. Würden Vampire mich wirklich lehren können, was ich wissen musste?
Die Situation musste wie ein Picknick gewirkt haben, denn als Vincenzo sich endlich blicken ließ, hörte ich ihn zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, hemmungslos lachen.
»Wie romantisch! Dante, mir war nicht bewusst, dass du eine so sanfte Seite in dir verbirgst. Da kennt man jemanden seit mehr als tausend Jahren und dann stellt man fest, man kennt ihn doch nicht.« Vincenzo näherte sich mit schief gelegtem Kopf den Gitterstäben. Aufmerksam musterte er meinen Körper. Sein Gesicht spiegelte Enttäuschung wieder. Wahrscheinlich hatte er gehofft, dass meine Wandlung schon fortgeschritten war. Ich war untröstlich, ihn enttäuschen zu müssen.
»Dante, du kannst jetzt gehen. Aber bleib nicht so lange«, befahl er über seine Schulter hinweg. »Im Auto wartet ein Blutbeutel auf dich. Lass mir noch was übrig.« Das unausgesprochene »ich bin noch nicht fertig mit dem Mensch« konnte ich in seinem Gesicht ablesen.
Dante erhob sich vom Boden, stellte den Teller mit den Tac cos, von denen er gerade gegessen hatte, auf meiner Seite der Gitterstäbe ab und zwinkerte mir kurz zu. Als er seinen Meister anblickte, runzelte er kurz die Stirn und warf mir dann einen mitleidigen Blick zu, als hätte er etwas in Vincenzos Gedanken gelesen, das ihm nicht zusagte. Vielleicht hatte Vincenzo ihm aber auch einen gedanklichen Befehl erteilt.
Vinc enzo lief an den Gittern entlang, seine Finger glitten dabei über den rostigen Stahl. Sein silbernes Haar trug er heute wieder offen. Es schimmerte im Neonlicht, welches an der Decke vor meinem Gefängnis angebracht war. Vincenzos Haut erschien in dem Licht noch blasser als sonst, fast ein wenig durchsichtig. Ich konnte die feinen blauen Linien sehen, die sich wie ein Netz über sein Gesicht ausbreiteten. Wenn ich mir in meiner Fantasie einen Vampir ausgemalt hätte, dann hätte er so ausgesehen wie Vincenzo in eben diesem Moment.
»Warum kommt Giovanni nicht her?«, durchbrach ich das Schweigen, das nur vom sonoren Summen der Leuchtstoffröhre unterbrochen wurde.
»Weil ich es ihm verboten habe«, sagte Vincenzo mit einem Unterton, der die Härchen auf meinen Armen aufrichtete.
»Das würde ihn n icht aufhalten.« Ich hoffte Vincenzo würde die Unsicherheit in meiner Stimme nicht hören.
Der Vampir kniff die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Du hast recht. Es war schwer, ihn von dir fernzuhalten.«
»Warum?«, fragte ich verwirrt.
»Wa rum? Lass mich nachdenken.« Vincenzo verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich an. »Du bist ein Werwolf. Du bist die Prinzessin. Du … Es gibt viele Gründe.«
»Ich versteh nicht.« Aber meine innere Stimme begann, mich laut zu warnen.
»Weil ich seit Ewigkeiten auf eine Chance wie diese warte.«
Ich schluckte schwer. »Was für eine Chance?«, flüsterte ich.
»Du musst das verstehen, du bedeutest Macht. Weißt du, wie es ist, so ein ewiges Leben? Tag ein Tag aus der gleiche Trott. Einzig
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