Silence
Tragödie. Ich hatte Jason mitgebracht, hatte versucht, meinen Kummer mit Drogen zu betäuben. Ich hatte nicht verhindert, dass Jason seine farbigen Bonbons auch Kelly anbot. Bis heute wusste ich nicht, wie ich mich überhaupt auf Jason einlassen konnte. War es das Betteln um Aufmerksamkeit? War es die Verzweiflung, der Kummer? Ich weiß nur, Jason war da, als sonst niemand da war.
Die Tür krachte mit einem lauten Knall gegen die Wand, als ich sie achtlos aufstieß. Ich lief an Greta vorbei auf mein Zimmer, warf mich auf mein Himmelbett und sperrte die Außenwelt aus. Mit offenen Augen starrte ich an die Zimmerdecke, denn wenn ich die Augen schloss, war da nur Kelly.
Greta schlich leise in mein Zimmer. Das hätte sie sich sparen können, ich konnte ihre besorgten Gedanken schon hören, als sie noch im Flur war. Ich spürte, wie sich meine Matratze absenkte, als sich die ältere Dame auf mein Bett setzte. Sie griff nach meiner Hand und streichelte mich zärtlich. »Ich bin sicher, es war nicht zu früh für die anderen. Es war zu früh für dich.«
Da konnte sie sogar recht haben. Keiner der Partygäste hatte mir wirklich seine Aufmerksamkeit geschenkt oder mich auch nur schief angeschaut, bis ich wie vö llig von Sinnen losgerannt und in River gekracht war.
»Du musst dir selbst verzeihen können, bevor deine Freunde es tun können«, fuhr Greta mit sanfter Stimme fort.
Mir selbst verzeihen. Wie könnte ich mir selbst verzeihen? Ich war schuld am Tod eines Menschen. Diese Tatsache würde mich für den Rest meines Lebens verfolgen. Ich wandte mein Gesicht von Greta ab, damit sie mich nicht ansehen konnte. Diese klugen Worte hatte ich von den Therapeuten in der Klinik ständig gehört. Der Stoff meines Kopfkissens klebte an meinem tränennassen Gesicht. Ich beließ es dabei.
»Ich weiß, dass es schwer ist zu verzeihen. Am wenigsten kann man sich selbst verzeihen, aber du musst es versuchen. Es war ein dummer Unfall. Nicht du hast die Drogen mitgebracht, sondern der Junge. Und schon gar nicht hast du Kelly gezwungen, sie zu nehmen. Schlimme Dinge passieren. Ich sage nicht, dass du das alles vergessen sollst. Aber akzeptiere, dass es passiert ist. Kelly ist tot. Du kannst es nicht ungeschehen machen. Du kannst nur nach vorn blicken und dein Leben weiterführen. Wenn nicht du den Jungen mitgebracht hättest, vielleicht wäre er mit jemand anderem gekommen, oder allein.«
Es wunderte mich nicht, dass meine Eltern sich die Mühe gemacht hatten, die neue Haushälterin über meine Verfehlungen aufzuklären. Aber was machte das schon für einen Unterschied? Es wusste ohnehin schon die ganze Stadt.
Wäre Jason allein gekommen? Nein. Außer mir kannte er dort niemanden. Oder doch? Ich hatte ihn im alten Diner kennengelernt. Seine raue, dunkle Art hatte mich angezogen. Die Tatsache, dass er auf mich wirkte wie James Dean oder Johnny Depp in jungen Jahren, war schuld, dass ich mich ihm regelrecht an den Hals warf. Im Nac hhinein gesehen war das meine Art, meinen Eltern zu sagen; ich brauche euch nicht. Seht her, ich bin ein böses Mädchen.
Nach einer Weile verließ Greta mein Zimmer. Ich schluchzte noch einige Zeit in mein Kissen, bis mich irgendwann der Schlaf übermannte. Natürlich träumte ich von Kellys Tod, von Jason und von Mariana. Nur war Mariana nicht wirklich Mariana. In ihrem Inneren war sie schon sie. Zumindest war mir das während des Träumens bewusst, aber sie hatte das Gesicht von Greta. Sie hatte die Stimme von Greta und sie sprach dieselben tröstenden Worte wie Greta.
Am nächsten Morgen erwachte ich erst spät. Greta hatte mich nicht geweckt und ich war dankbar dafür. Es war Sonntag und ich blickte dem Tag mit mehr Gelassenheit entgegen. Zum einen musste ich mich heute weder Michelle noch meinen anderen Mitschülern stellen, zum anderen hatte mich der Traum auf fast magische Weise beruhigt. Er hatte den Eindruck hinterlassen, als wäre Mariana bei mir gewesen.
Den ganzen Tag über verließ mich dieses Gefühl nicht. Manchmal war es fast so, als könnte ich ihr Parfüm riechen. Mir war natürlich bewusst, dass Mariana nicht zurückgekommen war, aber Greta war jetzt hier. Und ein wenig war es wirklich so, wie es früher mit Mariana gewesen war. Nach dem gestrigen Tag war ich nur allzu bereit, die neue Haushälterin an Mariana Platz zu lassen. Ich brauchte eine Person um mich herum, die mich in die Arme nahm, die mich tröstete, die so etwas wie eine Mutter für mich war.
Den Tag verbrachte ich
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