Silence
belämmerten Eindruck, denn Giovanni lachte laut auf. »In dem Medaillon ist Eisenhut. War übrigens Ermanos Idee. Das mit dem Medaillon. Er meinte, den Beutel findest du nicht besonders hübsch.«
Ermano stand etwas abseits und beobachtete die Szene mit gerunzelter Stirn.
Mrs. Walsh kam aufgeregt gestikulierend hinter die Bühne.
»Seid ihr so weit? Du siehst wirklich sehr hübsch aus, Lisa.«
Auch Mrs. Walsh hatte sich in ein altertümliches Gewand gehüllt. Es war nicht so schön wie meins und nur im schlichten Grau gehalten, aber wohl das, was einer Bediensteten dieser Zeit am nächsten kam. Es ließ ihre sowieso üppigen Rundungen noch fülliger wirken.
Giovanni nickte, senkte sein Gesicht zu mir und flüsterte mir »Hals und Beinbruch« ins Ohr, bevor er verschwand.
Ermano griff nach meiner Hand und führte mich auf die Bühne hinaus. Ich stolperte unbeholfen und völlig abwesend hinter ihm her, durch den schweren mahagonifarb enen Vorhang, der die Bühne von dem Bereich trennte, in dem ich gerade mein letztes bisschen Verstand gelassen hatte.
Von dem Augenblick an, wo ich die Bühne betrat, ignorierte ich die vielen Menschen, die in Stuhlreihen gedrängt warteten. Ich verdrängte jeglichen Gedanken d aran, wo ich mich befand. Trotz all dieser Bemühungen stieg Übelkeit in mir auf. Meine Hände fühlten sich klamm und kalt an und die Panik, die die Brüder eben so erfolgreich verdrängt hatten, ergriff mich wieder mit eisigen Klauen.
Hilfe suchend starrte ich auf Ermanos Gesicht, der beruhigend lächelte. Ich versuchte, so wenig wie möglich von dem zu erfassen, was mich umgab. Nicht den hölzernen Boden, nicht die schweren Stoffvorhänge rechts und links der Bühne und nicht das Licht des Scheinwerfers, das auf uns gerichtet war.
Als ob die Situation nicht schon katastrophal genug war, schlich sich Giovanni in meinen Kopf und entführte mich zurück in die Vision von dem Rosenfeld. Plötzlich stand nicht mehr Ermano vor mir, sondern sein Bruder. Er hielt meine Hände und begann Ermanos Text zu sprechen.
Gerade als ich entspannte, flackerte das Bild, das Giovanni heraufbeschworen hatte, und Ermano erschien vor mir. Ich wollte nur noch sterben. Die Brüder schafften es immer wieder, aus mir ein verstörtes Reh zu machen. Ich fühlte mich, als hätte man mich zwischen zwei Pferde gespannt und beide Tiere wollten in unterschiedliche Richtungen davonrennen.
Was soll das? , zischte ich in Ermanos Kopf.
Nur du und ich, antwortete er .
Ihr macht es mir nicht einfacher.
Lass dich einfach auf die Vision ein.
Das Rosenfeld veränderte sich. An den Rändern verschwand es, bis ich mich alleine mit Ermano in dem Klassenraum befand, in dem wir gestern geübt hatten. Ich entspannte mich abermals etwas und griff nach Ermanos Händen, die mir als Anker dienen sollten.
Das Publikum klatschte begeistert Beifall und ich wusste, ich hatte es überstanden. Nur zwei Mal musste Ermano mir aushelfen. Nach einer kurzen Verbeugung stürmte ich von der Bühne und zerrte Ermano hinter mir her.
»Was zum Teufel sollte das gerade? Ihr zwei … ihr bringt mich noch um«, schrie ich außer mir vor Wut. Jeder Muskel in mir bebte vor Anspannung.
»Ich weiß nicht, was Giovanni sich dabei gedacht hat. Ich wollte dir nur helfen, die Leute da draußen zu vergessen. Du warst bleich wie eine Kalkwand und hast gezittert. Ich hatte Angst, du würdest in Ohnmacht fallen.« Ermano wirkte wirklich besorgt.
»Hast du dir schon mal überlegt, dass nicht der Auftritt daran schuld war, sondern ihr beiden? Ihr zerrt an mir und zerreißt mich innerlich.«
Ich ließ Ermano stehen und rannte wutschnaubend aus dem Schulgebäude, vorbei an einer besorgt dreinblickenden Mrs. Walsh.
Ich brauchte Abstand und den würde ich nicht in der Schule finden, wenn ich mit beiden Brüdern zusammen Unterricht hatte. Und ich brauchte eine Freundin, mit der ich reden konnte, also lief ich zu Kate, die noch immer krank das Bett hütete.
Kates Mutter, eine schlank gewachsene Frau, die kein Jahr älter aussah als fünfunddreißig, aber schon zweiundvierzig war, öffnete mir die Tür. Auf der Juniorhigh war sie mein Vorbild schlechthin. Ich wollte aussehen wie sie, mich bewegen wie sie, sprechen wie sie. Kates Mutter trug ihr schokoladenbraunes Haar immer offen. Es war so glatt wie ein Spiegel und glänzte auch so. Heute sah ich sie zum ersten Mal mit schlicht hochgesteckten Haaren und in einem Trainingsanzug.
»Kate ist nicht zu Hause, Lisa.«
»In der Schule
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