Silent Control | Thriller
ich euren Freund für einen genialen Fälscher halten«, erklärte er. »Wir nehmen gerade eine Botschaft auf und stellen das Video gleich online.« Er deutete mit dem Kinn zum Altarraum, wo man ein Studio improvisiert hatte. Mit dem Handy filmten gleich mehrere Anonymous die Ansprache eines jungen Mannes, der eine Guy-Fawkes-Maske und eine schwarze Langhaarperücke trug. »Wo ist euer Freund überhaupt?«
Nova seufzte. »Wissen wir leider nicht genau.«
Ihre erste Freude darüber, dass Torben noch lebte, war der Sorge gewichen, wie es ihm ging. Ihr bester Kumpel inmitten einer Verschwörung. Jetzt bereute sie, dass sie seinen Theorien anfangs nicht geglaubt hatte.
Plötzlich applaudierten einige Hacker in der vordersten Kirchenbank.
»Der nächste Provider hat seine Sperre aufgehoben!«, schrie ein junges Mädchen und riss die Arme in die Luft. »Das Netz ist wieder frei! Gleich läuft das Video!«
Alles strömte nach vorn und drängte sich um die Hacker, die parallel auf die Websites von Zeitungen und Fernsehsendern gingen. Schon wenige Sekunden später tauchte überall das Video auf. Der Mann im Altarraum nahm seine Maske und die Perücke ab.
»Wir sind drin!«, triumphierte er. Dann sah er sich selber zu:
Bürger der Welt! Wir sind Anonymous! Dies ist eine dringende Warnung! Was wir lange befürchtet haben, ist eingetroffen. Das Internet wurde zensiert. Die demokratische Verfassung ist faktisch ausgehebelt. Doch wir haben uns das Netz zurückerobert. Wir bleiben nicht stumm, während die Regierung uns unsere Rechte nimmt. Wir rufen nicht zu den Waffen, aber zum zivilen Widerstand!«
Ein Raunen ging durch die Reihen. Auch der Pfarrer stand mit verschränkten Armen da und hörte zu.
Wir wollen nicht länger das Stimmvieh einer Scheindemokratie sein! Wir fordern Transparenz und eine gerechte Verteilung des Reichtums dieser Welt! Tausende sind verhaftet und getötet worden. Die Regierung hat uns ausspioniert und zu Terroristen erklärt. Jetzt ist der Tag gekommen, an dem wir Zurückschlagen müssen!
Jubel brandete auf und verstärkte sich durch das Echo der Kirche. Was man hier sah, lief jetzt überall, wo das Netz wieder frei war. Ein erhebendes Gefühl.
Das eine Prozent glaubt, unantastbar zu sein. Aber das ist eine Illusion! Wir veröffentlichen jetzt auf allen freien Websites die Operation Silent Control, die gestern gestartet wurde. Sie ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Man will uns geistig manipulieren, damit wir gewalttätig werden. Dann haben die da oben einen Grund, noch härter gegen jeden Demonstranten, jeden Hacker, jeden Systemkritiker vorzugehen. Wir fordern die Wiedereinsetzung der Verfassung, die Aufhebung des Patriot Act und aller anderen Gesetze, die die Freiheit und die Rechte des Menschen verletzen – weltweit!
Wir sind Anonymous!
BUNKER WHITESTAR
Im Bunker herrschte ein heilloses Durcheinander. Der Strom war ausgefallen. Im düsteren Licht der Notbeleuchtung wieselten FBI-Beamte und Bunkerangestellte durch die Gänge, während gefesselte Soldaten apathisch auf dem Boden saßen. Die schweren Explosionen hatten die Anlage schwer beschädigt. Überall klafften tiefe Risse in den Wänden, die Luft stank nach verbranntem Plastik von Versorgungsleitungen und dem Lötzinn verschmorter Platinen.
Torben, June und der Beamte hatten es noch vor dem Stromausfall in den Laborbereich geschafft. Die Schleuse stand offen, höchstwahrscheinlich ein Werk der Sprengungen. Jetzt waren sie mit Orlando in einem Raum voller Rechner.
»Was wird Clark als Nächstes tun?«, fragte June den Wissenschaftler.
Er senkte den Kopf. »Soweit ich weiß, hält er sich in der Halle mit der Sendeeinheit für die Gedankenübertragung auf. Von dort hat er direkten Zugang zu den Satelliten.«
»Dann tun Sie was dagegen!«, herrschte der Beamte ihn an.
»Ich wüsste nicht, wie, tut mir leid.«
»Egal, wie, wir müssen verhindern, dass der Präsident von Clark beeinflusst wird«, insistierte June. »Wenigstens sind die Daten schon draußen.«
»Der Präsident wird nichts Unbedachtes tun«, überlegte der FBI-Mann laut. »Er ist für seine Liberalität bekannt.«
Torben massierte sein schmerzendes Bein. »Und allzu viel werden die in Davos ja vielleicht nicht anrichten.«
»Bist du verrückt geworden?«, fuhr June auf. »Aus deiner Akte ging hervor, dass du Politikwissenschaft studiert hast. Dann solltest du wissen, dass ein einmal verhängter Notstand nicht mehr so leicht rückgängig zu machen ist. Die
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