Silent Control | Thriller
erfuhr Torben noch mehr aktuelle Nachrichten. In Berlin hatte man nach Straßenschlachten mehr als fünfhundert Menschen verhaftet, in Spanien über zweihundert. Und in Griechenland war eine nächtliche Ausgangssperre verhängt worden. Der Sender schaltete zu einem Reporter an die Börse. Er berichtete, dass der Dow-Jones-Index um nochmals sieben Prozent abgerutscht sei.
Die Lage verschärfte sich also weiter. War das der Beginn einer weltweiten Rebellion? Umso unbarmherziger würde das System reagieren. Bedrückt blickte Torben aus dem Fenster. An der endlos langen 105. Straße zogen die typischen Holzvillen an ihm vorbei. Dann ging es über die Long Island Road in die South Street. Torben sah Menschen betteln, andere schoben Einkaufswagen mit ihrem Hab und Gut vor sich her. Darunter Leute, die sicherlich noch nicht lange auf der Straße lebten, dafür waren sie zu gut angezogen.
Das sind die Fakten, die Kilian nicht wahrhaben will, dachte Torben verbittert. Man musste es eben mit eigenen Augen sehen, um zu verstehen, warum die Occupy-Bewegung so großen Zulauf hatte. Hier in New York war die Kluft zwischen Arm und Reich wesentlich drastischer spürbar als auf der idyllischen Wohlstandsinsel Schweden.
Schon holten ihn andere Gedanken ein. Er musste schnellstens eine Unterkunft finden und in ein Internetcafé gehen, um die Lage im Netz zu checken. Wenn er es richtig in Erinnerung hatte, fand das Hackertreffen noch am selben Abend statt. Vorsichtig betastete er den Umschlag in seiner Hosentasche, prall gefüllt mit Dollarscheinen. Peters Geld würde eine Weile reichen, wenigstens das.
Der Fahrer hielt mit quietschenden Bremsen. »Liberty Street, Sir.«
Torben zahlte und stieg aus. Im Gegensatz zum Winterrückfall in Stockholm war es warm in NewYork, fast schon frühsommerlich. Tief atmete er den Geruch der Stadt ein, diese Mischung aus Benzingestank, Bagelduft und Asphalt. Langsam ging er über die Wall Street in Richtung Zuccotti Park, überwältigt von der Kulisse der steil aufragenden Wolkenkratzer.
Er kam nur mühsam voran. Die Straße war angefüllt mit Demonstranten, die in Sprechchören das Ende des rücksichtslosen American Way of Life forderten. »Stop Globalisation!«, stand auf den Plakaten, und »We are 99 Percent!«.
Überall waren schwarz vermummte Polizisten zu sehen, ausgerüstet mit Hartgummigeschossen und Gewehren. Einige trugen seltsam aussehende Geräte – vermutlich die neuen Strahlenwaffen, von denen Torben gehört hatte. Im Netz hatte das Gerücht die Runde gemacht, neuerdings würden Mikrowellenkanonen gegen die Demonstranten eingesetzt. Sie riefen schwer erträgliche Schmerzen durch Überhitzung hervor. Es schauderte Torben bei diesem Anblick.
Schließlich erreichte er den fast schon legendären Zuccotti Park, an dem die Occupy-Wall-Street-Bewegung ihren Anfang genommen hatte. Die Bezeichnung Park war allerdings übertrieben. Nur ein paar junge Bäume ragten aus dem Beton. Die Massen, die sich hier seit Monaten allmorgendlich versammelten, beeindruckten Torben schon mehr. Die Urzelle, das Zeltlager der Bewegung, wurde im November 2011 geräumt. Die Demonstranten jedoch hatte man nicht vertreiben können.
Als er plötzlich unsanft angerempelt wurde, fuhr er herum und hielt die Arme schützend vor den Körper.
»Upps, sorry!«
Eine junge Frau mit fransigen schwarzen Haaren und einer roten Lederjacke stand vor ihm. Es dauerte einen Moment, bis sich Torbens Herzschlag wieder beruhigte. Die Verfolgungsjagd in Stockholm steckte ihm noch in den Knochen. Doch dies war ganz offensichtlich eine harmlose Aktivistin.
»Tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Du kommst nicht von hier, oder?«
»Nein, ich … ich … komme aus … Schweden«, stammelte er.
»Na, da hast du dir ja einen guten Tag ausgesucht.«
Torben betrachtete ihr selbst gemaltes Schild aus Pappe mit dem Schriftzug »Rettet unsere Verfassung!«.
»Wieso, was ist passiert?«, fragte er.
Kopfschüttelnd sah sie ihn an. »Liest du keine Nachrichten im Internet? Sie verschärfen den Patriot Act, um unser Recht auf Demonstrationen einzuschränken. Dann können sie uns sogar im Vorfeld einer Versammlung verhaften.«
So weit war es also schon gekommen im Land der Freiheit. Torben war erschüttert. Ein striktes Demonstrationsverbot, der Beginn des Abschieds von der Demokratie.
»Und was habt ihr nun vor?«
»Wir lassen uns verhaften. Irgendwann sind die Gefängnisse so voll, dass die da oben nicht mehr weiterkommen. Sie
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