Silentium
hätte der Vize locker ein ganzes bayrisches Wörterbuch behauchen können.
Muß natürlich nichts heißen, aber interessant ist es schon, hat sich der Brenner gedacht, daß ein alter Zigarrenraucher wie der Festspielvize auf einmal einen Lungenzug macht wie ein Gymnasiast, der eine Davidoff nicht von einer Kaugummizigarette unterscheiden kann.
«Das ist lange her», hat er gehüstelt und dabei so rot geleuchtet wie diese Kürbisse, die sie in manchen Gegenden zu gespenstischen Lampions umarbeiten, und man weiß nie, vertreiben sie die bösen Geister, oder sind sie es selber. «Natürlich ist es an ihm gelegen. Du weißt es ja schon von meiner Tochter. Er war uninteressiert. Millionen für den Psychiater ausgegeben. Und was kommt heraus? Statt daß er sich für meine Tochter interessiert, spaziert er erst recht bei den Duschen seiner Kindheit herum und läßt sich von einem Sandler erschlagen, der um sein Versteck fürchtet.»
«Warum hat sich Ihre Tochter nicht scheiden lassen?»
«Ich hab ihr ja immer gesagt, daß sie es ist, die zum Psychiater gehört, nicht er. Sie hat einen Wohltätigkeitstick, meine Frau Thochther.» Schön langsam hat sich seine Stimme wieder beruhigt, und er hat wieder schön Luft zum Behauchen gehabt. «Sie hätte alle Möglichkeiten der Welt gehabt. Und was thut sie? Heiratet einen Thothalversager.»
«Jetzt steigen Ihre Chancen auf Enkel jedenfalls wieder.»
«Wer sagt das?»
«Die Logik sagt das.»
«Logik!» hat der Rollmops verächtlich aufgeschnauft. «Weiberlogik!»
«Wenn Ihre Tochter noch einmal heiratet.»
«Da wage ich gar keine Prognosen. Die Ratschlüsse meiner Frau Thochther sind unergründlich. Sie ist so stur wie –»
Da hat der Vize nicht weitergeredet, sondern über irgendwas nachgedacht.
«– wie Sie?» hat ihm der Brenner geholfen.
«Muß man als Detektiv Gedanken lesen können?»
«Es schadet jedenfalls nichts.»
«Das Gulasch essen wir dann um Mitternacht», hat der Präsident abrupt das Thema gewechselt, quasi: Wenn der andere schon Gedanken lesen kann, muß ich ihm wenigstens zeigen, wer der Herr im Haus ist. «Frisch schmeckt es mir nicht, erst aufgewärmt kriegt es den richtigen Gulaschgeschmack.»
«Für mich darf es sogar ein bißchen angebrannt sein.»
«Angebrannt!» hat der Festspielpräsident ausgerufen. Mitten im Hinuntergehen ist er auf der Holzstiege stehengeblieben und hat sich nach dem Brenner umgedreht, als hätte er gerade die größte Weisheit seines Lebens vernommen. «Seit siebenunddreißig Jahren bin ich verheiratet, und genauso lange streite ich mit meiner Frau darüber! Ich sage, das Gulasch muß ein bißchen angebrannt sein.»
«Es darf ruhig ein bißchen rußig schmecken.»
«Richtig! Ruhig ein bißchen rußig. Und weißt du, was meine Frau sagt?»
«Krebs.»
«Sie können ja wirklich Gedanken lesen», ist der Vize vor lauter Schreck in die Höflichkeitsform zurückgefallen.
Unter uns gesagt, der Brenner kann natürlich nicht Gedanken lesen. Aber er hat eben auch schon so seine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht, viel Positives auch dabei, da möchte ich gar nichts dagegen sagen, aber natürlich einen Toast schön schwarz werden lassen oder von mir aus ein Gulasch anbrennen, das geht nicht, weil sofort ein Aufschrei, daß man glauben könnte, der liebe Gott hat ihnen nur dafür ihre hohen Stimmen gegeben: Krebs! Krebs! Und noch einmal Krebs!
«Stammen Sie eigentlich aus Bayern?»
«Jetzt werden Sie mir langsam unheimlich, Brenner.»
«Mir ist es nur vom Dialekt her so vorgekommen.»
«Thialekth?»
Der Brenner hat genickt.
«Kennen Sie sich so gut aus mit dem Bayrischen?»
«Das einzige, was ich über Bayern weiß, ist, daß dort die Ortsnamen alle so chinesisch klingen, immer mit dem -ing hinten: Chieming, Ainring, Taching, Piding. Mein Großvater hat immer gesagt, da kommen die Ingenieure her.»
«Die Ingenieure», hat der Vize gelacht. «Da wäre ich ja auch ein Ingenieur, wenn ich aus Petting stamme.»
«Petting?»
«Petting, gleich hinter Freilassing, zwischen Waging und Heining. Das kennen Sie nicht. Ist nur ein kleines Kaff ohne Straßennamen. Ich hab mein Elternhaus dort schon vor bald dreißig Jahren verkauft.»
«Petting 69», hat der Brenner gesagt.
Jetzt unglaublich, daß man mit so einem fetten Gesicht doch noch so finster schauen kann: «Das müssen Sie mir aber jetzt erklären», hat es aus dem feisten Gesicht leise herausgezischt.
«Ihre Tochter», hat der Brenner gelogen.
Und dann
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