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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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Vandalismus beschränkte sich nicht auf Georges Flur; dieser Korridor war ebenso finster wie der untere. Er ging zu Kingsleys Tür und klopfte.
    »Professor?«, rief er leise. »Professor, sind Sie da drin? Sind Sie wach?«
    Er erhielt keine Antwort. Versuchsweise drehte er den Knauf und stellte fest, dass die Tür unverschlossen war. Er stieß sie auf.
    Das Zimmer sah beinahe genauso aus, wie er es verlassen hatte. Die Flaschen und Gläser und Tinkturen standen immer noch um das Waschbecken herum, mit Ausnahme von einer, die vermutlich dazu benutzt worden war, George zu narkotisieren. Professor Kingsley lag im Bett unter seiner Decke wie gewöhnlich, nur dass er auf der Seite lag, vom Raum abgewandt, statt auf dem Rücken. George runzelte die Stirn; Kingsley lag wegen seiner Schmerzen nur selten auf der Seite, doch dann wurde George klar, dass seine schlimme Seite nach oben gewandt war.
    »Professor?«, fragte George erneut. »Alles in Ordnung?«
    Kingsley regte sich nicht und antwortete nicht. Er war sehr blass, noch blasser als zuvor.
    »Kingsley?«, sagte George wieder und trat in das Zimmer. »War jemand an Ihren Medikamenten?«
    Kingsley rührte sich immer noch nicht. Etwas an der Art, wie er da im Bett lag, zusammengerollt in einer fetalen Haltung, die Hände unter dem Kopf, wirkte sonderbar kindlich. So stellte sich George eine schlafende Putte vor.
    George wollte den Mann gerade wecken, als er eine dunkle Linie auf den Bodenbrettern unter dem Bett entdeckte. Als er sie musterte, sah er, dass sie im Licht leicht schimmerte, ähnlich wie Öl. Es war eine Flüssigkeit, dunkel und sehr zäh, und als er sich herabbeugte, um sie genauer zu betrachten, nahm er einen kupfernen, herben Geruch wahr.
    George erstarrte. Etwas troff unter der Decke von der Bettkante herab. Es tropfte anscheinend an der ganzen Matratze entlang und gerann auf dem Boden zu einer Linie. Er schluckte und streckte die Hand aus und wusste nicht, ob er die tropfende Flüssigkeit berühren sollte oder Kingsley oder die Decke. Schließlich packte er die Decke an der Kopfseite und zog sie zurück.
    Die Matratze war so blutgetränkt, dass sie sich dunkelrot verfärbt hatte. An drei Stellen glänzte das Gewebe von dem vielen Blut, das sich dort gesammelt hatte. Kingsley war vollständig bekleidet, aber der Mantel und das Hemd waren auf einer Seite offen, und die Haut, die darunter zum Vorschein kam, war mit Dutzenden alten, genähten Wunden überzogen wie mit Pockennarben. Eine frischere Wunde am Ende des Brustkorbs war aufgerissen worden. Eiterströme sickerten heraus und sammelten sich in Streifen auf dem Bett. Eine Rippe lugte hervor, und sie sah irgendwie dünn aus, als wäre sie mit einem Schnitzmesser bearbeitet worden, und zugleich schien es, als hätten viele kleine Münder von der Rippe und dem Fleisch darum geknabbert …
    George schrie auf und zuckte zurück. In seinem drogenbenebelten Zustand, geplagt von Übelkeit, stolperte er und stürzte gegen einen Schrank, ehe er auf dem Fußboden landete. Flaschen und Gläser fielen klimpernd um ihn herum zu Boden und rollten in die Ecken des Raumes.
    Dann hörte er aus irgendeinem Teil des Hotels das Trippeln winziger Füße, gefolgt von einer rasselnden Reibeisenstimme. »Es weiß Bescheid.«
    Und, aus einem anderen Teil des Hotels, dieselbe Stimme: »Es hat Vater gefunden.«
    Und von einem dritten Punkt: »Vater, Vater, schlafender Vater.«
    Georges Blick fiel auf die Zimmerecke. Alle drei Marionettenkisten waren dort, aber die Deckel waren offen, die Kisten leer.
    Kälte kroch über seine Haut, und er fing an zu schwitzen. So leise er konnte, stand er auf und ging zur Tür, steckte den Kopf hinaus und schaute den Korridor hinunter.
    Es war sehr dunkel, aber ein wenig konnte er erkennen. Eine Weile rührte sich nichts. Dann hörte er vom anderen Ende nahe der Treppe langsame, leise Schritte näher kommen. Etwas ging den schattigen Flur entlang, sehr gemächlich, wie jemand, der einen Spaziergang machte. Es war sehr, sehr klein, nicht mehr als zwei Fuß hoch, und auf seinem Weg durchquerte es einen schmalen Lichtstreifen, der an dem Laken am Fenster vorbeigedrungen war, und George sah eine winzige, menschenähnliche Gestalt mit einem kahlen, ulkig großen Kopf, zierlichen steifen Armen und einem zerlumpten kleinen Anzug, wie ihn jeder Cockney-Spross, der sich zu Höherem berufen fühlte, gern tragen würde.
    Die kleine Gestalt hielt inne, als sie sah, dass George sie beobachtete. Sie beugte sich

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