Silenus: Thriller (German Edition)
Kopf, aber ein Ausdruck der Besorgnis legte sich über seine Züge.
»Du weißt es nicht«, sagte sie.
Er antwortete nicht.
»Du weißt es. Du wirst gehen müssen, nicht wahr? Du bist die ganze Zeit unterwegs.«
KANNST DU MIT MIR KOMMEN?, schrieb er.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, Stanley.«
Lange hielten sie einander eng umschlungen. Dann ergriff Stanley erneut seinen Block und schrieb: DANN SOLLTEN WIR DIE ZEIT GENIESSEN, DIE UNS GEGEBEN IST. Und sie gingen Hand in Hand in Richtung Straße, überquerten sie und schlenderten weiter zu dem Bach, der durch den Wald floss.
»Sie sehen furchtbar glücklich aus, nicht wahr?«, sagte eine Stimme neben George.
George drehte sich um und erstarrte vor Schreck. Eine weitere Alice Carole stand neben ihm. Er starrte sie an, sah sich zu der anderen Alice um, die Hand in Hand mit Stanley davonging, und schaute wieder die zweite an, die neben ihm stand. Sie war sonderbar farblos, und ihre Züge wirkten verschwommen, trotzdem konnte er sehen, dass sie ihn anlächelte.
»Du kannst mich sehen?«, fragte er. »Ich dachte … ich dachte, das wäre ein Traum.«
»Das ist kein Traum, George«, sagte sie. »Es ist das Echo von etwas, das vor langer Zeit geschehen ist.«
George gaffte sie regelrecht an, doch das schien seine Mutter nicht zu stören. Ihre Augen zeichneten jeden Zoll seines Gesichts nach, und obwohl sie voller Tränen standen, konnte sie nicht aufhören zu lächeln.
»Bist du ein Geist?«, fragte er. »Bin ich tot?«
»Tot?«, wiederholte sie. »Nein. Habe ich dir nicht gerade gesagt, was das ist?«
»Es ist ein Echo …«, sagte er. »Also bist du auch ein Echo? So wie die, die ich mit meinem V… mit Silenus auf dem Friedhof gesehen habe?«
»Ja«, bestätigte sie.
»Wie?«, fragte er.
»Die Erste Weise ist nicht an Raum und Zeit gebunden, George«, erklärte sie. »Das weißt du. Diese beiden Elemente sind nichts als Melodien innerhalb ihrer Grenzen. Und Echos könnten viel größer sein als gewöhnliche Leute. Wenn du das willst und über die Gabe verfügst, kannst du sie nutzen, um jeden Ort in jeder Zeit zu sehen. Im Augenblick besuchst du zwei Echos – das eine stammt von einem liebevoll gehüteten Augenblick, das andere von einer Person – von mir. Ich bin so froh, dass wir uns endlich, endlich begegnen.«
»Wie ist das möglich?«
»Es hängt davon ab, wer die Weise singt«, erklärte sie. »Wenn bestimmte Teile betont werden, werden bestimmte Echos erzeugt. Man braucht viel Talent, um das zu schaffen, aber dein Vater war von jeher ein außerordentlich talentierter Mann.«
»Stanley? Ist er dafür verantwortlich?«
Seine Mutter nickte. »Kannst du es nicht hören? Überall um uns herum? Er singt von uns und führt die Wölfe fort von dir. Das ist seine einzige Sorge und das Einzige, woran er denken will. Er singt von diesem Moment und von dem Mädchen, das er geliebt hat, und von dem Kind, das es zur Welt gebracht hat. Von dir, George.«
George runzelte die Stirn. »Ich … ich hätte nie gedacht, dass er mein Vater sein könnte«, sagte er schwach. »Ich wusste es bis eben noch nicht. Warum hat er mir das nie gesagt?«
»Nun, er hatte stets die Bürde seiner Verantwortung zu tragen«, antwortete sie. »Es lag wohl an seinem Onkel, nehme ich an … er hat den armen Stanley stets unter seiner Fuchtel gehalten. Ganz ähnlich wie meine Mutter. Deine Großmutter, meine ich. Ich glaube, das war der Grund, warum wir so gut miteinander ausgekommen sind. Wir wollten beide ausreißen, aber er hat ein Heim gesucht und ich ein Abenteuer. Für eine Weile haben wir beide bekommen, was wir uns gewünscht hatten.«
Geradezu begierig blickte er zu ihr auf. So genau hatte er sie noch nie zu sehen bekommen. »Dann bist du also wirklich meine Mutter?«
Lächelnd zuckte sie mit den Schultern. »Ich bin es, und ich bin es nicht. Ich bin ein bisschen mehr und ein bisschen weniger. Ich weiß ein paar Dinge, die sie nicht wusste. Beispielsweise über dich, das Kind, das sie nicht mehr kennenlernen durfte. Du hast so viel erlebt, und obwohl du so deine Schwierigkeiten hattest, weiß ich, du wirst dich bewundernswert schlagen.«
»Da bin ich nicht so sicher«, meinte George. »Ich habe … ich habe mich Stanley gegenüber schrecklich benommen, und ich war so überheblich und habe so viele Fehler gemacht. Ich wünschte, er hätte mir gesagt, wer er ist.«
»Gräm dich nicht, George. Er weiß, du würdest ihn lieben, hätten sich die Dinge anders
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