Silenus: Thriller (German Edition)
mich nicht Sir, Junge. Nenn mich Harry. Und du bist nicht der Einzige, der die Spielregeln nicht kennt. An den meisten Tagen spielen wir alle das gleiche Spiel. Was ich aber unbedingt wissen möchte, George, ist, warum zum Teufel du überhaupt hinter der Bühne warst.«
»Was meinen Sie?«
»Ich meine, warum kommt irgendein Junge auf die Idee, sich hinter die Bühne zu schleichen und mich vor dem zu warnen, was auf uns gelauert hat?«, fragte Silenus. »Ich weiß nicht, ob ich einen Schutzengel habe, aber falls doch und er dich geschickt hat, dann hat er sich vorher einen beschissen großen Haufen anderer Gelegenheiten entgehen lassen.«
George überlegte, was er sagen sollte. »Ich … ich habe nur gehört, wie diese Männer im Hotel über Sie gesprochen haben, und ich wusste, ich muss helfen«, sagte er, ohne recht zu wissen, warum er log – wahrscheinlich, weil er noch nicht einschätzen konnte, wer oder was dieser Mann war, und erkannt hatte, dass er die Antwort auf diese Frage fürchtete.
Silenus musterte ihn mit einem schlauen Blick. »Du musstest einfach helfen? Aus reiner Herzensgüte?«
George war überzeugt, dass Silenus seine Lüge erkennen würde, dennoch sammelte er all seinen Stolz und sagte: »Ja, gewiss. Kommt Ihnen das so abwegig vor?«
Silenus grunzte und trank noch einen Schluck aus seiner Flasche. »Sehr«, sagte er. »Umso mehr, da dich das so heftig in die Scheiße geritten hat. Das hat es doch, nicht wahr?« Dann verfiel er in dumpfes Grübeln.
George überlegte, was er nun sagen sollte. Er hatte so viele Fragen, dass er nicht recht wusste, welche er zuerst stellen sollte. Er wollte alles über die Männer in Grau wissen und über das Lied – und vor allem wollte er alles über Silenus und seine Mutter wissen; warum er sie und sie ihn gewählt hatte, und warum er nie zurückgekommen war. Aber nun, da George endlich die Chance hatte, ließ ihn sein Selbstvertrauen gänzlich im Stich. Silenus kam ihm ganz und gar nicht wie ein Familienmensch vor. Er wirkte nicht so, als würde er sich sehnlichst einen Sohn wünschen, und die Idee, er könnte einen haben, der überraschend aus seiner längst vergessenen Vergangenheit auftauchte, war ihm bestimmt noch nicht gekommen.
George war nicht einmal überzeugt, dass Silenus sich überhaupt an seine Mutter erinnerte. Statt ihm also eine der Fragen zu stellen, die er wirklich stellen wollte, sagte er: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen eine Frage stelle, Sir?«
»Es macht mir viel aus, aber ich werde es tolerieren«, entgegnete Silenus.
George sah sich zu Stanley um, der ihn beobachtete. »Ist es in Ordnung, wenn er dabei ist?«
»Stan ist absolut vertrauenswürdig«, sagte Silenus. »Ohne ihn wäre ich verloren. Alles, was ich hören soll, kann Stanley auch hören.« Als wollte er diese Worte untermauern, nickte Stanley mit einem milden Lächeln auf den Lippen.
»Es gab da mal eine Vorführung in einer kleinen Stadt, südlich von hier«, sagte George. »Eine sehr kleine Stadt. Es ist gerade ein paar Monate her. Ich wüsste gern … ob Sie vorher schon einmal dort waren. Ob Sie dort schon früher aufgetreten sind.«
»Wie war der Name des Ortes?«
»Rinton«, sagte George.
Silenus schaute ihn ratlos an und zog eine Braue hoch, während er über die Frage sinnierte. »Rinton?«, fragte er, als hätte er das Wort noch nie gehört.
Und etwas in der Art, wie er das Wort wiederholte, sorgte dafür, dass George alle Hoffnung verlor. Ihm wurde klar, dass Silenus sich überhaupt nicht an Georges Heimatstadt erinnerte, nicht einmal an seinen jüngsten Besuch dort, also hatte er mit größter Wahrscheinlichkeit auch keine Erinnerung mehr an seine Mutter oder an die Umstände, die zu Georges Zeugung geführt hatten. Die Beziehung zwischen Silenus und seiner Mutter musste leicht zu vergessen gewesen sein, belanglos, und Georges Existenz war schlicht nebensächlich.
Silenus schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Nein, ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich auch an keinen früheren Besuch. Aber die Namen dieser Städte verschwimmen nach einer Weile in meinem Kopf. Weißt du etwas darüber, Stanley?«
Stanley starrte George neugierig an, zuckte aber nur mit den Schultern.
»Oh«, machte George und hoffte, dass sein Gesicht nicht verriet, wie niedergeschmettert er sich fühlte. »Na gut.«
»Ist das alles, was du mich fragen wolltest, Junge?«, fragte Silenus.
»Ja«, sagte George leise.
Silenus schüttelte glucksend den Kopf.
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