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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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»Das ist deine einzige Frage? Du bist ein komischer Bursche, das kann ich dir sagen. Du hast so manches an dir, das mir seltsam erscheint, aber das, was mich wirklich beunruhigt … nun ja, du warst wach. Du, irgendein verdammtes Gör hinter der Bühne, bist während der ganzen vierten Nummer wach geblieben, wie es scheint. Weißt du, was das bedeutet? Oder was die vierte Nummer eigentlich ist?«
    »Nein«, gab George zu. »Im Grunde nicht. Sie … verändert die Dinge, nicht wahr?«
    Silenus wägte ab, ob er die Frage beantworten sollte oder nicht. »Vielleicht«, sagte er dann. »In gewisser Weise.«
    »Sie macht, dass etwas in das Theater eindringt und dann … ich weiß es nicht. Aber ich habe dieses Stück schon einmal gehört, und da hatte ich auch das Gefühl, dass es die Dinge verändert.«
    »In Rinton?«, fragte Silenus. »Hast du es dort zum ersten Mal gehört?«
    George schwieg und dachte nach. Dann sagte er: »Nein. Nein, ich habe Ihren Auftritt in Rinton verpasst.«
    »Dann hast du uns schon vor Rinton gesehen?«
    »Nein«, sagte George. »Heute Abend war es das erste Mal. Aber dieses Lied, das Sie gespielt haben, habe ich nicht zum ersten Mal gehört.«
    Stanley und Silenus beugten sich vor. Ihre Augen fixierten George, untersuchten ihn von Kopf bis Fuß, und Silenus merkte kaum, dass die Asche seiner billigen Zigarre auf seinen Rockaufschlag zu fallen drohte. »Sprich weiter«, forderte er George auf.
    »Zuerst konnte ich mich gar nicht daran erinnern. Mir war überhaupt nicht bewusst, dass das je passiert ist. Dann, gerade heute Abend, als ich Ihren Choral gehört habe, da … da ist etwas in mir erwacht. Etwas in mir hat das Lied, das Sie gespielt haben, erkannt. Ich habe mich vage daran erinnert, was passiert ist. Aber was es zu bedeuten hat, ist mir ein Rätsel.«
    »Dann sei so nett, und erinnere dich noch einmal, Junge. Ich würde das gern hören.«
    George sah sich erneut nervös zu Stanley um.
    »Ich habe dir doch schon gesagt, Stanley ist vertrauenswürdig«, sagte Silenus ungeduldig. »Also los, Junge. Erzähl es uns. Erzähl uns von dem Lied, das du gehört hast.«
    Um sie herum rappelte der Waggon, und die Lampen flackerten. George wartete, bis sie wieder gleichmäßig brannten. Dann holte er tief Luft und fing an zu sprechen.
    Es war, als George gerade in die zweite Klasse gekommen war, was wie die meisten Dinge in Georges Leben als Katastrophe begonnen hatte. Schon am ersten Tag hatte er es geschafft, seinen Lehrer zur Verzweiflung zu bringen und seine Mitschüler zu verärgern, vor allem Benny Russell, einen untersetzten Felsbrocken von einem Kind, der eine Äußerung Georges irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen hatte und deshalb annahm, dass George sich über seine Schuhe lustig gemacht hätte. Nachdem George in der Folgezeit mehr blutige Nasen und geprellte Rippen hatte einstecken müssen, als ihm lieb war, verkroch er sich nach Schulschluss draußen in den alten, ausgetrockneten Flussläufen auf der anderen Seite der Stadt. Benny Russell vergaß irgendwann seinen Groll, doch zu dem Zeitpunkt war George bereits so fasziniert von seiner Zuflucht, dass er all seine Aufmerksamkeit den Wasserrinnen und Schluchten mit ihren abgestuften Wänden und Furchen wie zerknitterte Seide zuwandte, aus deren Ritzen allerlei erdige Schätze hervorlugten.
    George fand alte Blechdosen, noch ältere Schilder, Quarzbrocken und Wurzeln, die in sonderbaren Formen und Mustern gewachsen waren. Letztere lagen ihm besonders am Herzen, da viele von ihnen an Masken oder Gesichter mit missgebildeten Augen und vorquellenden Schweineschnauzen erinnerten. Er benutzte eine Rolle Zwirn, um die Wurzelgesichter an Stöcke zu binden, und stellte sie am Rand der Schluchten auf, um Geister und Feinde abzuwehren oder zumindest Benny Russell.
    Den Sommer über war er Aufseher in einem Steinbruch und schmiedete detaillierte Pläne, die zu wenig führten, aber in gewichtigem Tonfall mit vielen unsichtbaren Gehilfen besprochen wurden. Manchmal verlagerte er seinen Blechdosenvorrat gemeinsam mit dem Eisenstangenarsenal und tat, als würde ein Feind ihm die Dosen neiden und ihn zu gern unvorbereitet erwischen. An diesen Tagen verlagerte er auch seine Armee Wurzelgesichter und stellte sie in einer Reihe auf, auf dass sie seine Angreifer niederstarrten und einen neuen Übergriff unterbanden.
    Eines Tages, nachdem er eine Schwadron Wurzelgesichter neu positioniert hatte, stellte George, als er wieder in seine Zuflucht kam,

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