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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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beinahe befürchtet«, sagte sie und führte den Stoß aus, »du wärst tot.« Sie richtete sich auf, wirbelte das Queue herum und begutachtete die Wirkung ihres Stoßes. Dann nickte sie zufrieden und sagte: »Ich hatte schon überlegt, ob ich raufgehen und mich vergewissern soll, dass du noch atmest.«
    »Wo ist Harry?«, fragte George. »Was ist aus seiner Tür geworden?«
    »Sie wird da sein, wenn sie benötigt wird«, sagte sie, schritt um den Tisch herum, den Kopf ein wenig schief gelegt, und überlegte sich ihren nächsten Stoß. »Harry ist mit Stanley unterwegs. Bis sie zurück sind, sollst du in meinem Blickfeld bleiben und gar nichts tun.« Sie beugte sich in entschieden undamenhafter Manier über den Tisch und führte einen weiteren Stoß durch.
    George setzte sich in die Nähe des Tisches. »Wo sind sie hingegangen?«
    »Eine derartige Frage zu stellen fällt definitiv nicht unter Gar-nichts-Tun«, beschied ihm Colette. »Was jedoch von dir erwartet wird.« Sie machte sich zum nächsten Stoß bereit und grinste ihn am Queue entlang an. »Frustrierend, nicht wahr?«
    »Ja, schon.«
    »So ist das, wenn man für ihn arbeitet«, sagte sie. »Das ist, als würde man versuchen, im Dunkeln Pool zu spielen, während jemand dir erzählt, wie die Kugeln auf dem Tisch verteilt sind.« Sie schüttelte den Kopf, verwarf den zunächst geplanten Stoßwinkel und schritt erneut um den Tisch herum. In Georges Augen sah sie aus wie eine höchst zufriedene Katze, die um ein Eichhörnchen herumschlich, das auf einem einzeln stehenden Baum festsaß. »Heute ist Sonntag, unser freier Tag. Morgen früh findet eine Probe im Theater statt. Der Professor ist in seinem Zimmer und erholt sich, und Franny ist weg und tut, was immer Franny tut. Aber du und ich, wir bleiben genau hier. Wenn du etwas essen willst, findest du Geld in meiner Tasche da drüben.«
    »Wie ist das Frühstück hier?«, fragte George.
    »Widerlich«, sagte Colette. »Gewöhn dich dran. Hotelessen ist immer widerlich.« Der Kellner, der ganz in der Nähe war, hörte sie und setzte eine finstere Miene auf.
    George kaufte sich ein Eiersandwich, das die Farbe und Konsistenz von Sand hatte, und sah Colette beim Poolspielen zu. Sie redete nicht viel, sondern konzentrierte sich auf ihr Spiel. Nach einer Weile fiel ihm eine Art Wildheit in ihrer Art zu spielen auf. Es war, als wollte sie die Kugeln bei ihren Stößen nicht in einer Tasche versenken, sondern sie vielmehr zur Explosion bringen. Jede versenkte Kugel war dabei nur eine Art Bonus. George war dankbar dafür, dass sie so enorm auf ihr Spiel konzentriert war; sie merkte gar nicht, wie groß seine Augen wurden, wenn sie sich über den Pooltisch beugte, die dunklen, flaumigen Arme um das Queue gewickelt, und sich ihr Trizeps bei jedem Stoß ruckartig spannte. Einmal fragte sie, ob es ihm hier zu heiß wäre, denn er schwitzte ein wenig, doch George hüstelte nur und murmelte etwas darüber, er würde wohl empfindlich auf das Sandwich reagieren, was er gleich darauf bedauerte.
    Colette spielte stundenlang Billard, und George sah zu. Sie wirkte viel älter und um Welten selbstsicherer, als er es war. Er hoffte, sie mit einem Gespräch über Wagner beeindrucken zu können, über den er gerade erst einige interessante und wohlmeinende Artikel gelesen hatte, und auch wenn George noch nie eine der Opern dieses Mannes gehört oder gesehen hatte, war er überzeugt, er wäre ein begeisterter Anhänger seiner Kunst. Aber Colettes Reaktionen beschränkten sich auf Schulterzucken, Grunzlaute und Nicken. George wünschte, er hätte seinen Tweedmantel dabei. Er bildete sich ein, darin deutlich erwachsener auszusehen, und würde er ihn tragen, so würde dieses Mädchen, das ihn am Vorabend so bezaubert hatte, ihm vielleicht ein wenig Aufmerksamkeit widmen.
    Doch das Mädchen, das hier Billard spielte, war ganz anders als seine Vorstellung von dem juwelengeschmückten Mädchen in Weiß. Nie zuvor hatte er eine Frau Stumpen rauchen sehen, umso weniger auf so heftige Weise. Auch hatte er noch nie beobachtet, wie eine Frau derartige Mengen Bier trank oder so geschickt Billard spielte. Nach einer Weile fragte er sie, aus welchem Teil Persiens sie stamme. Sie musterte ihn einen Moment und sagte: »Aus Teheran.«
    »Wo ist das?«
    »In den Randgebieten Persiens, an der Küste. Da, wo das Kaspische Meer sich zum Mittelmeer ausstreckt. Dort wird viel Schifffahrt betrieben. Aber es gehört nicht mehr zu Persien.«
    »Nicht?«
    »Nein. Es

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