Silicon Jungle
die Hauptspeisen – gebackene Jakobsmuscheln und Filet mignon für die Fleischesser, ein japanisches Tofu-Gericht für die Vegetarier, serviert von Kellnern in sauberen weißen Uniformen – übertrafen sogar die höchsten Erwartungen. Obwohl das köstliche Essen es verdient hätte, mit Genuss verspeist zu werden, waren sie schon nach zehn Minuten damit fertig.
»Habt ihr vielleicht auch die Krankenakten der Leute online?«, fragte Kohan und kam damit wieder auf ihre Aufgabe zurück. Er hatte es halb im Scherz gesagt, aber dennoch, sie waren alle neugierig, wie weit Ubatoo auf diesem Territorium vorgestoßen war.
»Nein, leider noch nicht«, sagte Jaan mit echtem Bedauern und dachte über die Möglichkeiten nach. »Wenn wir die hätten, würde es dieses Projekt allerdings erheblich erleichtern. Dann wäre die Zielgruppe von Geburt an definiert.« Er stand abrupt auf. »So, können wir weitermachen? Auf dem Rückweg kommen wir an einer Kaffeebar vorbei.«
Mit zwei Cappuccino, einem Latte und zwei Wasser mit extra viel Koffein versorgt, saßen alle kurz darauf wieder vor ihren Computern und arbeiteten wie wild die jüngste Variante aus, die sie sich auf dem Rückweg vom Lunch überlegt hatten.
Denken, tippen, Koffein. Denken, tippen, Koffein. Im Nu war es ein Uhr nachts. Die meisten Kollegen aus den Büros um sie herum hatten längst Feierabend gemacht. Als Jaan meinte, die vier sollten vielleicht auch langsam nach Hause gehen, waren sie alle ernsthaft verblüfft.
»Finden Sie, wir haben genug getan?«, fragte Aarti.
»So weit, so gut. Ich finde, wir haben seit heute Morgen ordentlich was geschafft. Wir werden eure Ergebnisse morgen zum Einsatz bringen, wenn wir die Server in Indien benutzen können, um die Daten zu crunchen. Und morgen Abend werden wir wissen, ob wir Amerika überzeugen konnten, mehr Diätpillen zu kaufen.«
Ohne den Blick von seinem Computer zu heben, fragte William: »Kann ich noch dreißig Minuten weitermachen, Jaan? Ich versuche seit zwei Stunden, aus all den Selbsthilfegruppen für Übergewichtige noch mehr Informationen rauszuholen. Es sind so viele …«
»Ich kann auch bleiben oder später wiederkommen, falls ich dir helfen soll«, bot Aarti an.
»Nein, geht ruhig. Ich brauche nur dreißig Minuten. Ist das okay, Jaan?«
»Kein Problem«, erwiderte Jaan. »Es ist früh. Ich bin noch ein paar Stunden hier. Treffen wir uns morgen Vormittag um elf.«
AUF BESSERE ZEITEN
Mai 2006.
Sie hatten das ganze Restaurant gemietet, und alle waren eingeladen. Das Il Fornaio in Palo Alto, genau hier hatte vor acht Jahren alles angefangen. Genau hier hatten die vier Freunde ihr Unternehmenskonzept zementiert und sich gegenseitig in dem Entschluss bestärkt, ihre Jobs aufzugeben und ihr Glück mit der Gründung einer eigenen Firma zu versuchen. Sie hatten an demselben Tisch gesessen, auf dem heute Abend der Champagnerbrunnen floss.
Es war eine gute halbe Stunde vor Mitternacht, und Sebastin saß allein an der Bar. Die ausgelassene Menge von über hundertachtzig Mitarbeitern und Gästen war hinten auf der Terrasse, man lachte, redete, schloss Geschäfte ab und knüpfte Beziehungen. Wahrscheinlich wurde da draußen bereits die Saat für das nächste Unternehmen gelegt. Noch mal acht Jahre weiter und das ganze Spektakel hier würde sich wiederholen, allerdings ohne Sebastin.
»Wir haben’s geschafft, Sebastin. Auf diesen Tag haben wir gewartet.« Mark hatte sich zu ihm gesellt. Mark, Elizabeth, Nate und Sebastin waren die Gründer von iJenix.com – seit heute Morgen offiziell ein hundertprozentiges Tochterunternehmen von Mahabishi Keiretsu.
Sebastin hob sein Glas. »Prost«, sagte er und nahm wieder einen Schluck, sein dritter Drink in den letzten fünfundvierzig Minuten.
»Komm schon, Sebastin, nun lach mal«, sagte Mark. »Heute ist unser Abend. Wenn du morgen aufwachst, musst du nirgendwohin, du bist jetzt einer von denen, die es im Silicon Valley geschafft haben. Morgen wirst du erst so richtig schnallen, was für ein Glückspilz du bist.«
Sebastin hob wieder sein Glas und stieß es vehement gegen das von Mark, so dass von beiden Drinks das meiste überschwappte. »Darauf trink ich.«
»Es lässt sich doch alles wunderbar an«, sagte Mark mit einem Grinsen, während er an dem nassen Fleck auf seinem Hemd herumwischte. »In ein paar Monaten, wenn wir alle gut erholt und vom Nichtstun zu Tode gelangweilt sind, landen wir unseren nächsten Coup. Wie war noch mal der Name, den du
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