Silicon Jungle
und Drinks.
Gott sei Dank entdeckte Stephen wenigstens ein bekanntes Gesicht im Saal. Aarti stand allein da und beobachtete das Spektakel. Stephen, der nach seinem Telefonat mit Sebastin noch immer in Hochstimmung war, erzählte Aarti postwendend von dem Projekt und seinen Ergebnissen.
Er sprach zu schnell und zu laut. Er war noch nicht bei den Details angekommen, als sie ihn näher zu sich zog und sagte: »Ich denke, du solltest hier lieber nicht über so was reden, meinst du nicht?«
Stephen war überrascht. »Alle hier arbeiten für Ubatoo. Ich wüsste nicht, warum ich denen nicht sagen kann, was wir machen.« Dann sprach er unbeirrt weiter, wenn auch in einem dringenden Flüsterton, gerade laut genug, dass Aarti ihn hören konnte.
Die sagte wenig dazu, obwohl sie ihm genau folgte.
»Ich langweile dich mit dem Kram, nicht wahr?«, fragte Stephen. »Ich sollte dich lieber in Ruhe das Essen und die paar Minuten Pause genießen lassen, bevor das Meeting anfängt.«
»Nein, Stephen, natürlich langweilst du mich nicht«, sagte sie und legte eine Hand auf seine verschränkten Arme. »Nein, das ist nicht der Grund. Ich bin einfach überrascht, dass du so was machst. Das hört sich nicht nach einem von Jaans üblichen Projekten an.« Sie stockte und starrte ihn an, als überlegte sie, ob sie etwas Bestimmtes preisgeben konnte. Was immer es auch war, letztendlich beschloss sie, weiterzureden. »Das Problem ist nicht ohne. Ich hab …«
Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Die Lampen im Saal gingen aus und an, was schlagartig einen Ansturm auf die wenigen noch freien Plätze auslöste. Stephen und Aarti verloren einander im Gedränge aus den Augen. Falls es ihr wichtig war, so dachte er sich, würde sie hinterher schon zu ihm kommen. Sie kam jedoch nicht noch einmal auf ihn zu, und er sprach sie nie wieder darauf an.
Obwohl sich die Organisatoren alle Mühe gegeben hatten, war von der jovialen Atmosphäre, die sonst bei den Motivationsmeetings herrschte, diesmal nichts zu spüren. Die nationale und globale Wirtschaft steuerte auf eine Krise zu. Ubatoo machte zwar nach wie vor erstaunliche Umsätze und Gewinne, doch die Angst davor, dass die unabwendbare Krise sie erfassen würde, hatte alle gepackt. Und es war nicht etwa eine abstrakte, schwer zu greifende Angst – sondern ganz persönliche Sorgen. Die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten, vor allem in der Führungsriege, waren unverhältnismäßig hoch an Ubatoo beteiligt. Ihre überhöhten Vergütungen hingen ebenso wie ihre fetten Finanzpolster davon ab, dass die Aktien weiter stiegen. Obwohl über die Finanzkrise und ihre Auswirkungen bislang noch nicht gesprochen worden war, ging das Gerücht, dass das Thema heute auf der Tagesordnung stand.
Im Gegensatz dazu machten sich die Sommerpraktikanten keine Gedanken um Aktienanteile, sondern hofften gespannt darauf, dass ihre jeweilige Gruppe erwähnt wurde. Je häufiger über eine Gruppe gesprochen wurde (zumindest in einem positiven Licht), desto mehr Leute müssten dort eingestellt werden, um die zwangsläufig gestiegenen Erwartungen zu erfüllen. Überraschenderweise hatte noch keiner von ihnen die Wechselwirkung zwischen der Anzahl von Erwähnungen und der Anzahl von Festanstellungen tatsächlich untersucht. Doch der Mangel an Transparenz bei der Vergabe fester Stellen hatte den Effekt, dass man die Hoffnung nicht aufgab, sich an jeden imaginierten Strohhalm klammerte.
Als Xiao ans Rednerpult trat, war die Musik sanft ausgeklungen. Wie immer hielt er sich nicht mit Nettigkeiten auf. Das Licht wurde gedimmt, und auf der Leinwand hinter ihm erschien eine PowerPoint-Präsentation, die den Saal in einen kobaltblauen Glanz tauchte. Xiao schritt vor der Leinwand auf und ab und warf einen bedrohlichen überlebensgroßen Schatten. Umsatzplanungen und Schätzungen des Datenverkehrs leuchteten über seinem Kopf auf, um nach wenigen Sekunden wieder zu verschwinden. Er hielt sich nicht lange bei den Zahlen auf. Sie waren zu groß, als dass sie für irgendjemanden im Saal eine konkrete Bedeutung gehabt hätten. Es genügte, zu wissen, dass sie gewaltig waren und weiter wuchsen.
Das nächste Thema waren die technologischen Erfolge seit der letzten Großversammlung. Anders als viele Vorstandsvorsitzende war Xiao nicht nur an den Geldsummen interessiert, die die technologischen Entwicklungen Ubatoo einbrachten, und hatte auch keine Angst vor dem Kontakt mit Informatikern, sondern im Gegenteil ein
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