Silicon Jungle
das Gedränge in den Warteschlangen entsprachen seiner Vorstellung von Indien. Der Name Delhi Café war also nicht besonders einfallsreich, aber immerhin passend. Er sah sich in aller Ruhe das riesige farbenfrohe Angebot unbekannter und teilweise einschüchternder Speisen an, die seiner harrten. Schließlich entschied er sich für langsam gegartes Lammfleisch auf Safranreis, dazu als Vorspeise Jumbo-Garnelen in einer pikanten Masalasoße aus Südindien. Da er die Gemüsesorten nicht erkannte, ließ er sie weg, sehr zum Verdruss der Bedienung. Offenbar verzichteten nur die weißen Kunden auf Gemüse.
Mit einem Tablett voller Essen und einem zuckersüßen Flaschengetränk, das aus einem Teil der Welt importiert worden war, den er nicht mal auf der Landkarte finden würde, setzte Stephen sich allein an einen Tisch, in der Hand sein Ubatoo-Handy, las seine E -Mails und surfte im Netz. Nach einer Viertelstunde wurden die leeren Stühle rings um ihn herum alle auf einmal in Beschlag genommen.
Stephen blickte überrascht auf. Kohan, Yuri, Andrew und Rob hatten sich mit beladenen Tabletts zu ihm gesetzt.
»Wann seid ihr denn zurückgekommen?«
»Vor ein paar Minuten. Wir haben dich an deinem Schreibtisch gesucht, aber du warst nicht da«, antwortete Rob.
»Also haben wir dein Handy getrackt«, sagte Yuri. »Und sind zu der Cafeteria, die deiner Ortung am nächsten lag.«
»Clever, was? Endlich mal eine sinnvolle Verwendung für diesen Tracking-Mist. Wir werden dich von nun an stalken«, warf Rob mit einem schwachen Lächeln ein.
»Na schön, dann lasst mal hören. Irgendwelche interessanten Geschichten, Fotos oder Videos?«, begann Stephen, aber es war ein taktischer Fehler, sofort so neugierig zu fragen.
Keiner antwortete.
»Erzählt mir mal bitte jemand, was passiert ist?«, hakte Stephen nach.
»Du hättest dabei sein müssen«, sagte Andrew.
»Das Lamm schmeckt super«, sagte Kohan.
»Ich persönlich mag die Garnelen lieber«, entgegnete Andrew.
»Nein, nein, Leute. Wenn ihr mich fragt, die Suppe ist am besten«, schaltete sich Yuri in das Nervt-Stephen-Spiel ein, das aufreizend gut funktionierte.
»Wir sollten ihm von der Party erzählen. Rob, erzähl du ihm doch die Geschichte, ja? Du warst der Star des Abends«, sagte Kohan.
»Na schön. Dann warte ich eben«, sagte Stephen, der genau wusste, dass sie ihn nur länger auf die Folter spannen würden, wenn er sie mit dem geringsten Anzeichen von Interesse ermuntern würde.
Als sie beim Dessert waren, unternahm Stephen einen neuen Versuch. Diesmal stürzte er sich gleich auf das schwächste Glied.
»Also, Yuri, könntest du mir nicht wenigstens verraten, von welcher Party ihr redet und was Rob gemacht hat, um der Star des Abends zu werden?«
Yuri ließ Gott sei Dank Gnade walten. »Also, den ersten Teil kann ich dir erzählen. Für den Rest musst du Rob fragen. Du weißt ja, dass wir mit einem von Ubatoos Scanner-Vans nach Gilroy fahren wollten, nicht? Ich hab hinten an den Computern gesessen und mit Hilfe von JENNY Monica und Claudine überwacht – um sicherzugehen, dass wir nicht dort ankamen und sie schon im Bett lagen. Ich habe ihre E -Mails durchsucht und die Adresse rausgefunden. Und wir sind auch hingefahren.«
Dann erzählte Andrew weiter. »Als wir ankamen, war es kurz nach Mitternacht. Unsere furchtlosen Anführer, Kohan und Rob, gingen voraus. Es hat keiner auf uns geachtet, als wir reinspaziert sind.«
»Es hat keiner auf euch geachtet? Hatte Kohan noch seinen Cowboyhut auf?«, fragte Stephen lächelnd.
»Zum Glück nicht. Bis wir in Gilroy ankamen, hatten wir ihn endlich überredet, das Ding abzunehmen«, antwortete Rob.
Andrew erzählte weiter: »Kohan hat sich direkt ein Bier geholt, und Yuri haben wir an einen Kickertisch verloren.«
»Habt ihr eine von den beiden Frauen gesehen, Claudine oder Monica?«, fragte Stephen.
»Ich hab Monica gefunden«, antwortete Kohan.
»Was hat sie gesagt, als du dich als ihr persönlicher geisteskranker Stalker geoutet hast? Hast du von den Fotos angefangen?«
»Nicht doch. Mann, Stephen, für wen hältst du mich? Ich hab ihr nur die Chance geboten, von sich aus davon anzufangen.«
»Und hat sie?«
»Ähm, nein. Wäre ja wohl auch ein bisschen peinlich gewesen, meinst du nicht? Wie fängt man von so was an, wenn man ganz zwanglos miteinander plaudert? Wir haben uns etwa zehn Minuten unterhalten, dann wurden wir unterbrochen von« – Kohan hielt inne, als warte er auf einen Trommelwirbel –
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