Silicon Jungle
Flughäfen beziehen zu können. Leider nimmt das offenbar mehr Zeit in Anspruch, als wir dachten. Im nächsten Quartal sind wir hoffentlich wieder auf Kurs und können in unserem eigenen Land dieselben Dienste anbieten wie im Ausland.«
Atiq war erleichtert und mitleidig zugleich. Erleichtert, weil er heute nicht auf der »Streng-dich-beim-nächsten-Mal-mehr-an«-Liste stand. Dafür hatte er Mitleid mit der VP , die für die Akquirierung der Video-Feeds von Flughäfen in ganz Amerika verantwortlich war und mit vollem Einsatz arbeitete. Ubatoo führte seinen Teil zwar tadellos aus, aber solche großen Vorhaben brauchten einfach Zeit. Es war schwer, bei den US-Sicherheitsbehörden einen Fuß in die Tür zu bekommen. Was für seine Kollegin allerdings kaum ein Trost sein dürfte. Sie stand unter Druck, etwas liefern zu müssen, auf das sie nicht den geringsten Einfluss hatte. Und Xiao war sogar der Auffassung, etwas Gutes zu bewirken – oder zumindest keinen großen Schaden anzurichten –, wenn er ihr Feuer unterm Hintern machte.
Xiao setzte seine Präsentation fort: »Nach so einer erfreulichen Erfolgsbilanz möchte ich diese Versammlung nicht mit pessimistischen Worten beenden. Wir bei Ubatoo können uns glücklich schätzen, dass wir von den verheerenden wirtschaftlichen Turbulenzen nicht betroffen sind. Aber ich weiß, dass viele von Ihnen sich Sorgen machen. Lassen Sie mich Ihnen einfach Folgendes sagen: Wir stehen gut da. Mehr als gut. Sie haben selbst die Zahlen gesehen. Ob Suchmaschine, E -Mails, Handys und was wir sonst noch anbieten, alles sorgt dafür, dass die Leute zu uns kommen. Selbst jetzt, wo es wirtschaftlich schlecht läuft, wenden sich jeden Tag mehr und mehr Leute an uns. Die Menschen brauchen zuverlässige Informationen. Sie brauchen das Internet, um Antworten zu finden. Und wir liefern sie ihnen. Halten Sie sich bei der Arbeit an Ihren Projekten stets vor Augen, dass wir Menschen Möglichkeiten eröffnen.«
Und prompt verschwand die Folie auf der riesigen Leinwand und wurde durch das schlichte Wort »Danke« ersetzt.
Das Licht ging aber noch nicht an. Xiao sprach weiter. »Ach, das hätte ich fast vergessen«, sagte er. »Als Dankeschön für die harte Arbeit, die Sie leisten, möchte ich Ihnen allen einen kleinen wirtschaftlichen Anreiz zukommen lassen. Sie alle erhalten einen Bonus – ja, auch die Praktikanten und Teilzeitbeschäftigten – als Dank für die geleistete Arbeit. Glückwunsch an alle. Noch einen schönen Restsommer. Wir sehen uns im Herbst wieder. Ich bin sicher, bis dahin haben wir wieder Erstaunliches zu vermelden.«
Dann ging das Licht an, und die Swingmusik setzte wieder ein. Es lief nicht nur so gut, dass jeder einen Bonus in Höhe von 3500 Dollar erhielt, nein, Ubatoo stellte obendrein weiter Leute ein, konzentrierte sich nach wie vor auf Innovationen und erkundete neue Forschungsgebiete. Erfolg in einer Zeit, die von Scheitern geprägt war – sie alle, die sie hier versammelt waren, waren zweifellos vom Glück gesegnet.
EINE FAHRT ÜBER LAND
16. Juli 2009.
Das Motivationsmeeting endete am frühen Abend. Da Stephen nicht in Begleitung war, würde es keine Verhandlungen oder Gruppenbeschlüsse darüber geben, wo man gemeinsam zu Abend aß. Er entschied sich für das Delhi Café, das er selten aufsuchte, weil so gut wie nie jemand Lust auf den weiten Fußweg hatte. Aber heute Abend war ihm nach einem Spaziergang an der frischen Luft zumute. Der unruhige Schlaf letzte Nacht und die pausenlose Arbeit heute Vormittag forderten ihren Tribut. Mehr noch als die Arbeit hatte Stephen das Telefonat mit Sebastin angestrengt. Nach jedem geschäftlichen Gespräch fühlte er sich wie ausgelaugt. Er hatte lieber mit den Tausenden Computern bei Ubatoo zu tun. Das war auf jeden Fall einfacher und weniger ermüdend.
Es empfahl sich, mit einem Hindi-Muttersprachler ins Delhi Café zu gehen. Der Chefkoch hatte, als er vom Restaurant Bukhara in Neu-Delhi abgeworben worden war, darauf bestanden, auch gleich alle Köche und sein gesamtes sonstiges Personal mitzunehmen, und keiner von ihnen sprach gut Englisch. Einmal war das Restaurant auf persönliche Einladung von Xiao während der feierlichen Eröffnungswoche inoffiziell von Testern des Zagat -Restaurantführers bewertet worden. Gerüchten zufolge hatten sie Xiao im Vertrauen erzählt, sie hätten für das Essen 29 Punkte (von insgesamt 30) vergeben.
Stephen betrat das Delhi Café – die warmen Aromen exotischer Gewürze und
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