Silicon Jungle
fiel Molly ihm barsch ins Wort. »Also, Mr. Informatik-Praktikant, was wissen Sie denn darüber, was im Nahen Osten los ist oder auch nur in den USA ?«
»Entschuldige. Red weiter. Ich hör zu.« Er hätte es besser wissen müssen.
»Also. Ich hab für die anderen zwölf Gespräche eine Reihe von Experimenten geplant. Die würde ich gern mit dir durchsprechen. Wenn man liest, was diese Leute so schreiben, wird einem einfach klar, wie wichtig es wäre, deren Meinung zu verändern. Je länger ich sie beobachte, desto mehr hab ich das Gefühl, ich meine, desto sicherer bin ich mir, dass wir verhindern können, dass das Internet, wenn es instabile Länder erreicht, alles nur noch schlimmer macht oder extremistisches Denken verbreitet.« Leise sagte sie: »Vielleicht hab ich mich da übernommen. Ich hab das Gefühl, als würde ich an einem Experiment für psychologische Kriegsführung arbeiten, und das war jetzt nicht unbedingt mein Ziel.«
Sie wusste, dass diese Darstellung überspitzt war. Aber wann hatten seriöse Anthropologen denn je so entschieden versucht, ihre Probanden zu verändern ? Was war aus dem Grundsatz geworden, Menschen zu studieren, ohne sie zu beeinflussen? Nein, das hier hatte nichts mit Anthropologie zu tun. Eher war es ein psychologisches Experiment, vielleicht war es etwas Schlimmeres – alles dank ihrer Doktormutter Gale.
»Es ist doch schon faszinierend, User einfach nur zu beobachten und rauszufinden, wie sie ticken«, sagte Stephen. »Das Tolle ist, dass du noch einen Schritt über die bloße Beobachtung und Analyse hinausgehst. Du versuchst, es vorherzusagen, sogar zu steuern. Ich weiß nicht, wozu das irgendwann mal gut sein wird, aber ich persönlich finde, du solltest direkt bei Ubatoo anfangen. Die werden dich da lieben.«
»Stephen, nun hör doch mal ein paar Sekunden mit Ubatoo auf. Denk an die vielen Koranschulen, in denen Kinder mit Hasspamphleten lesen lernen und mit Hasslehren indoktriniert werden. Was glaubst du, was passiert, wenn die Zugang zum Internet bekommen? Glaubst du, sie sind je in der Lage, ein Problem von zwei Seiten zu betrachten? Das bezweifele ich. Stattdessen werden der ganze Hass und sämtliche Vorurteile durch ein weiteres Medium bestätigt. Ich finde, es liegt einfach auf der Hand, dass wir untersuchen sollten, wie sich Meinungen im Internet verändern lassen.«
»Finde ich auch. Du solltest die Untersuchung unbedingt machen. Falls – nein, sobald – das funktioniert, wird es auch wirklich etwas bewirken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nicht von Nutzen wäre.« Für seine eigene Dissertation hatte er niemals so viel Leidenschaft aufbringen können. Wenn er noch einmal die Chance bekäme, würde er sich ein Projekt aussuchen, das das Potenzial hätte, etwas zu verändern.
»Kann ich mir mal ein paar von den Posts anschauen?«, fragte Stephen, um Molly aufzumuntern. Er würde sich hüten, jetzt, mitten in ihren Recherchen, den Weg, den sie eingeschlagen hatte, in Frage zu stellen.
Sie gingen hinüber zu Mollys Computer. Vor einem Tag hatte sie kaum einen einzigen interessanten Post finden können. Jetzt fand sie gleich Dutzende. Sie unterschieden sich stilistisch: Manche waren wohldurchdachte Beiträge, manche unzusammenhängend, manche fordernd, manche plädierten für etwas, viele waren bloß Geschimpfe. Die meisten stammten von Leuten, die sich einfach nur Gehör verschaffen wollten, selbst wenn sie bloß einem anderen Beitrag leidenschaftlich zustimmten. Einer der Posts war perfekt, um ihn Stephen zu zeigen. Er stammte von einem User, der sich GR.Zadeh nannte, und war eine besonders bösartige Tirade über einen Polizeieinsatz im 19. Arrondissement von Paris vor wenigen Tagen. Sie scrollte runter zu den Kommentaren.
Stephen las das alles mit distanziertem Interesse. Er freute sich natürlich für Molly, aber er hütete sich, so zu tun, als wäre er gut genug informiert, um intelligente Anmerkungen zu machen. Ihre Website lief prima – die Leute reagierten auf Posts und animierten einander, warfen neue Diskussionsthemen auf und, was noch wichtiger war, sie kamen zurück und posteten erneut. Ihre Probanden waren angekommen.
Nachdem sie Stephen ein paar weitere Posts vorgelesen hatte, erklärte sie ihr weiteres Vorgehen: »Ich hab doch mal unter dem Namen Sahim Galab gepostet, weißt du noch? Also, da die Diskussion in diesem Thread offensichtlich immer negativer wird, wird Sahim Nachrichten posten, in denen er um Geduld bittet, bis mehr
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