Silicon Jungle
führte Kohan von der Frau weg, eine Vorsichtsmaßnahme, die selbst Kohan ein bisschen sonderbar fand.
»Ich glaube, ich hab da ein Projekt aufgetan, das für uns beide was wäre.«
»Ich bin dabei«, antwortete Kohan, ohne zu zögern.
»Lass mich dir erst erzählen, worum es geht, und entscheide dann.«
»Okay, aber im Ernst, ich bin dabei. Du weißt doch, dass ich noch kein eigenes Projekt habe.«
»Ich arbeite mit so einer Gruppe zusammen, ACCL . Hast du mal von denen gehört? Auf unserer ersten Ubatoo-Party hat Atiq mich dem Leiter vorgestellt, Sebastin. Die arbeiten gemeinnützig und warnen Leute, die versehentlich ins Visier von Sicherheitsbehörden geraten. Also NSA / CIA / FBI /Heimatschutz oder wer heutzutage sonst noch für Telefonüberwachung, Folter und so weiter zuständig ist. Deine alten Bosse eben. Jedenfalls, die ACCL versucht, diese Leute zu warnen und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass so etwas passiert.«
»Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass irgendeine Gruppe weiß, wonach NSA und Co. suchen«, warf Kohan ein.
»Diese Typen haben gute Beziehungen. Wer weiß, mit wem sie alles reden? Sie haben auf jeden Fall die Aufmerksamkeit von Ubatoo und einigen anderen der großen IT -Unternehmen hier geweckt. Ich kann mir vorstellen, dass sie auch bei etlichen Leuten in Washington ein offenes Ohr finden.«
»Okay, ich bin skeptisch, aber erzähl weiter. Was machst du für sie?«
»Das Gleiche wie für jeden Werbekunden, der zu uns kommt: unsere Logs und Daten durchkämmen, das Übliche eben. Ich gebe ihnen eine Liste von Personen, die den Kriterien entsprechen, von denen sie meinen, dass sie den Sicherheitsbehörden verdächtig sind. Die Personen zu kontaktieren ist dann deren Sache. Ich glaube, sie bereiten auch ein paar Klagen vor. Aber das hast du nicht von mir.«
»Und Atiq ist damit einverstanden, dass du das machst? Wir geben doch sonst keine Namen an Werbekunden raus, oder?«
»Na ja, Atiq hat uns einander vorgestellt und er hat gesagt, ich solle denen von der ACCL helfen, wo ich kann. Sie sind kein Werbekunde. Es ist für einen guten Zweck. Außerdem wird es den betroffenen Leuten am Ende eine Menge Ärger ersparen.«
»Wahrscheinlich, falls die ACCL recht hat. Also, was schwebt dir vor?«
Um die Wahrheit zu sagen, Stephen hatte sich zwar stundenlang den Kopf zermartert, aber ihm schwebte noch kein konkretes Projekt vor. Ideen flatterten ihm durch den Kopf wie Schmetterlinge, doch sie hatten weder Hand noch Fuß. Er hatte gehofft, zusammen mit Kohan auf neue Ideen zu kommen, doch die unglückliche Entscheidung, nach zwei Uhr nachts damit anzufangen, gepaart mit Kohans bereits deutlicher Skepsis, verhieß nicht gerade eine produktive Brainstorming-Sitzung. Stephen griff auf das übliche Schlagwort zurück, das unweigerlich bei allem fiel, was bei Ubatoo manuell geschah – Automatisierung.
»Vielleicht könnten wir die Arbeit, die ich für die ACCL gemacht habe, automatisieren? Wäre es nicht sinnvoll, wenn jeder sich bei Ubatoo einloggen und an einer Skala ablesen könnte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass er überwacht wird? Wir würden uns anschauen, was für Bücher du gekauft hast, was für Produkte, Medikamente, Gartenchemikalien du gekauft hast, welche Websites du online besucht hast, was für Suchanfragen du machst, wohin du gereist bist, mit wem du kommuniziert hast und was wir sonst noch alles über dich erfahren können. Aus all diesen Informationen errechnen wir eine Punktzahl zwischen eins und hundert, an der du ablesen kannst, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass du auf einer Watch List landest. So ähnlich wie beim Credit Score , wo eine Punktezahl deine Kreditwürdigkeit beziffert, nur dass es hier nicht darum geht, ob du deine Rechnungen pünktlich bezahlt hast.«
Kohans Miene verriet seinen Sarkasmus. »Wenn ich einen Punkt kriege, bin ich praktisch Mutter Teresa, und wenn ich hundert Punkte kriege, bin ich Osama Bin Laden? Ich muss schon sagen, Stephen, damit hab ich nicht gerechnet.«
»So ungefähr, ja. Wenn du wirklich nichts zu verbergen hast und deine Punktzahl hoch ist, möchtest du das vielleicht wissen. Ich würde das jedenfalls wissen wollen.«
»Du denkst eindeutig anders als die meisten Praktikanten hier. Ich hätte jetzt eher erwartet, dass du mit einem Selbstbedienungsprodukt kommst, wo Werbekunden ihre eigenen Daten überprüfen und ihre Werbeausgaben neu kalkulieren können. Du weißt schon, neunundneunzig
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