Silicon Jungle
war noch zu früh, um es an dem vollständigen Graphen mit zweihundert Millionen Leuten auszuprobieren. Stattdessen bezog er knapp 250 000 Personen in das Experiment ein. Es würde nur wenige Minuten dauern, bis er die ersten Ergebnisse erhielt.
Es war fünf vor elf. Die Daten und Programme waren geladen und einsatzbereit. Stephen lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und tippte den Befehl ein, der alles in Gang setzen würde, ließ dann den Finger über der Eingabetaste schweben, zögerte, sie zu drücken. Er wollte noch einmal alle Feineinstellungen überdenken – überlegen, ob er irgendetwas vergessen hatte. »Bitte, bitte, bitte funktionier diesmal«, flehte er leise.
Er drückte die Taste, und sogleich legten Dutzende Computer irgendwo in Ubatoos Wolke los. Der Graph war fertig, die Punkte waren schwarz und rot gefärbt, und der Einfluss der roten Knoten durchzog die Millionen von Links, die die Punkte miteinander verbanden. Ehe er seinen Cappuccino ausgetrunken hatte, verschwand der Statusbalken, und das Fenster »Programmlauf beendet« erschien.
Es war nicht leicht, 250 000 Ergebnisse zu begutachten. Er pickte sich wahllos ein paar Namen heraus und verfolgte manuell ihre Verbindungen, um zu sehen, wie weit sie von den roten Knoten entfernt waren. Die Ergebnisse wirkten plausibel. Endlich ging es wieder aufwärts. So weit war er in den letzten acht Tagen nicht gekommen.
Obwohl Stephen sein Projekt intellektuell und intuitiv vollständig erfasste und auch genau wusste, was er für die ACCL gemacht hatte, war das, was als Nächstes passierte, eine faustdicke Überraschung für ihn. Er hatte seine Liste um eine Reihe von Personen ergänzt, die er von der Highschool und SteelXchange kannte und auch Molly, Kohan und Yuri hinzugefügt. Seine alten Schulkameraden lieferten keine großen Überraschungen – keiner war ein potenzieller Terrorist. Das Gleiche galt für die Leute von SteelXchange.
Lediglich einer der von ihm hinzugefügten Namen war überhaupt rot – leuchtend rot. Dabei hätte er eigentlich nur dann so rot sein können, wenn er auf der ursprünglichen Liste gestanden hätte – und nicht erst in Folge der Überprüfung. Mein erster Fehler, dachte er. Irgendetwas stimmte da nicht.
Bis zu diesem Moment hatte Stephen keinen Grund gehabt, sich alle fünftausend Namen anzusehen, doch jetzt scrollte er hastig durch die Liste und nahm jeden Namen unter die Lupe. Bei Zeile Nr. 4793 verharrte er: »Molly Byrne.« Seine Molly.
Da war sie, zusammen mit all den anderen, die beobachtet wurden. Sie war auf der Liste gelandet, die er der ACCL übergeben hatte. Sie gehörte zu der Gruppe, die den Schatten des Zweifels und des Misstrauens auf all jene warfen, die sie kannten, machte sogar Leute verdächtig, die nur flüchtig mit ihr Kontakt gehabt hatten. Wie verdächtig war dann erst jemand, der mit ihr zusammenlebte? Stephen sprang vom Computer auf und rannte los.
»Molly hat mir erzählt, was Sie so machen, seit Sie nicht mehr bei uns sind, Stephen«, sagte Allison, als sie zu dritt in der Kantine von GreeneSmart für Hotdogs und Popcorn anstanden. Allison wartete auf irgendeine Bestätigung, die aber nicht kam.
»Stephen, hörst du zu?«, fragte Molly und stupste ihn zum zweiten Mal an.
»Oh. Sorry. Ich hab bloß über ein Problem nachgedacht, für das ich eine Lösung finden muss. Der übliche Ubatoo-Kram. Die schaffen es, dass du mit den Gedanken ständig bei der Arbeit bist«, log Stephen.
»Kommt mir bekannt vor. Als Sie noch hier gearbeitet haben, sind Sie auch öfter gedanklich abgedriftet. Übrigens, müssen Sie denn wirklich so viel arbeiten, dass Sie keine Zeit haben, uns mal zu besuchen?«, schalt Allison ihn gutmütig. Es war lange her, seit er ihren mütterlichen Tonfall zuletzt gehört hatte.
»Mrs. Glace, es tut mir wirklich leid. Heute ist einfach kein guter Tag. Ich lade Sie demnächst mal zum Lunch in eins unserer Cafés ein. Dann können Sie sich selbst davon überzeugen, warum alle immer vom Essen bei Ubatoo schwärmen«, sagte er und blickte in Richtung der Hotdogs auf ihren Tabletts. »Versprochen.«
»Klar, Stephen. Vergessen Sie’s bloß nicht.« Damit war das Gespräch Gott sei Dank zu Ende. Stephen und Molly gingen schweigend allein zu einem freien Tisch.
Als sie in den Drehsesseln Platz genommen hatten, ergriff zuerst Molly das Wort: »Also, was ist los mit dir? Worüber wolltest du so dringend mit mir reden? Ist alles in Ordnung?«
Stephen verlor keine
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