Silo: Roman (German Edition)
wurde schlechter, ihr war ein wenig schwummerig. Sie drehte sich um,
orientierte sich mit einer Hand an der Wand und stolperte durch die Dunkelheit
voran.
Es gab kein Licht,
kein Schimmer fiel von den großen Außenmonitoren herein. Sie betete, dass der
Grundriss des Silos der gleiche war und sie sich zurechtfinden würde. Und sie
betete, dass die Luft in ihrem Anzug noch einen Moment reichen würde und die
Luft im Silo nicht so giftig war wie die draußen.
Ihre Hand traf genau
dort auf die Gitterstäbe der Zelle, wo Juliette sie erwartet hatte, weshalb sie
davon ausgehen konnte, sich auch weiterhin im Dunkeln zurechtzufinden. Sie war
sich nicht sicher, was sie zu finden hoffte – sie hatte sich nicht überlegt,
wie genau ihre Rettung vonstatten gehen sollte –, sie stolperte nur möglichst
weit weg von dem Horror da draußen, von den Leichen, die hinter ihr lagen. Sie
begriff noch gar nicht wirklich, dass sie dort gewesen war, dass sie draußen gewesen war und sich jetzt an einem völlig neuen Ort befand.
Sie tastete sich
durch das Büro und nahm die letzten Atemzüge aus ihrem Helm, als sie plötzlich
stolperte. Sie landete auf einem weichen Etwas, griff danach und spürte einen
Arm. Einen Körper. Mehrere Körper. Das straffe Fleisch fühlte sich deutlicher
nach Mensch an als die leeren Hüllen und Knochen da draußen – es war nicht so
leicht, über diese Körper hinwegzukriechen. Wegen ihres eigenen Körpergewichts
musste sie den Kopf drehen und verlor fast das Gleichgewicht. Sie schreckte zurück,
wollte sich entschuldigen, ihre Hände zurückziehen, zwang sich aber, über den
Haufen zu klettern, durch die Dunkelheit, bis ihr Helm schließlich gegen die
Bürotür stieß.
Der Stoß war so
heftig, dass Juliette Sterne sah und befürchtete, das Bewusstsein zu verlieren.
Sie tastete nach oben, nach der Klinke. Sie hätte ihre Augen ebenso gut
geschlossen haben können, so dunkel war es. Nicht einmal in den Tiefen der
Mechanik war es so dunkel gewesen.
Sie fand die Klinke.
Die Tür war nicht verschlossen, bewegte sich aber auch nicht. Juliette rappelte
sich auf, ihre Stiefel gruben sich in die leblosen Körper, sie warf sich gegen
die Tür. Sie war panisch, sie hatte nur noch einen Wunsch, sie wollte weg aus
diesem Horrorkabinett.
Die Tür bewegte
sich. Ein bisschen. Auf der anderen Seite verrutschte etwas, und sie stellte
sich vor, dass dort noch mehr Leichen lagen. Wieder und wieder warf sie sich
gegen die Tür, ihr verzweifeltes Keuchen hallte im Helm wider. Ihr klebte das
Haar verschwitzt im Gesicht, sie sah nichts, bekam keine Luft mehr. Sie wurde
immer schwächer, atmete ihren eigenen verbrauchten Atem.
Als sich die Tür
einen Spalt öffnete, zwängte sie sich hindurch, erst eine Schulter, dann den
Helm, dann den anderen Arm und das Bein. Sie fiel zu Boden, krabbelte herum und
schob sich dann von innen gegen die Tür, um sie zu verschließen.
Da war ein winziges
bisschen Licht, kaum wahrnehmbar. Eine Barrikade aus Tischen und Stühlen war
gegen die Tür errichtet worden und infolge ihrer Anstrengungen ein bisschen
durcheinandergeraten. Die harten Kanten der Tische und die spinnenhaften Beine
der Bürostühle schienen nach ihr zu greifen.
Juliette hörte ihren
eigenen keuchenden Atem und wusste, dass sie keine Zeit mehr hatte. Die giftige
Luft, die sie von draußen mit hineingelassen hatte, war wie eine
Ungezieferwolke, die nur darauf wartete, dass sie ihren Helm abnahm, um sich
dann auf sie zu stürzen.
Juliette überlegte,
ob sie sich hinlegen und einfach darauf warten sollte, bis ihr die Luft
ausging. Sie würde in der Verpuppung dieses Anzugs konserviert bleiben, in
diesem hervorragenden Anzug, den Walker und die Leute aus der Versorgung ihr
zum Geschenk gemacht hatten. Ihre Leiche würde für immer in diesem dämmrigen
Silo liegen, den es eigentlich gar nicht hätte geben sollen – was immer noch
besser war, als auf einem leblosen Hügel zu verwesen, wo sie Stück für Stück
vom Wind zerfressen würde. Sie keuchte und war stolz darauf, es bis hierher
geschafft zu haben, selbst das letzte Hindernis hatte sie überwunden. Sie
sackte an der Tür zusammen und hätte sich fast schon hingelegt und die Augen
geschlossen, wenn ihre Neugierde nicht noch einmal erwacht wäre.
Juliette hielt ihre
Hände in das Dämmerlicht, das aus dem Treppenhaus herüberfiel. Mit den
schimmernden Handschuhen – mit hitzebeständigem Klebeband umwickelt und zu
einer Art Haut zusammengeschmolzen – sahen ihre
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