Silo: Roman (German Edition)
Server 40 gelehnt und sich
entspannt. Aber Bernard lächelte ihn aufmunternd an, sein Schnauzbart hob sich,
seine Augen wirkten groß hinter den Brillengläsern.
Was ist Ihre erste
Pflicht im Silo?
Bernard hatte ihn
auf derartige Fragen vorbereitet.
»Die Weisung zu
befolgen.«
Stille. Keine
Reaktion. Er war sich nicht sicher, ob er recht oder unrecht hatte.
Was schützen Sie an
erster Stelle?
Die Stimme war flach
und dennoch energisch und ernst. Düster und trotzdem ruhig. Lukas’ bekam einen
trockenen Mund.
»Das Leben im Silo
und das Vermächtnis«, zitierte er. Aber es klang falsch, dieses aufgesetzte,
antrainierte Wissen. Er wäre gern ins Detail gegangen, hätte dieser Stimme, die
wie ein strenger und nüchterner Vater klang, gern zu verstehen gegeben, dass er
wusste, warum diese Dinge wichtig waren. Er war ja nicht dumm. Er hatte mehr zu
sagen, wusste mehr als die auswendig gelernten Fakten …
Was braucht es, um
diese Dinge, die uns so teuer sind, zu schützen?
»Man muss Opfer
bringen«, sagte Lukas leise. Er dachte an Juliette – und fast bröckelte die
Fassade der Gelassenheit, die er für Bernard an den Tag legte. Es gab Dinge,
die er nicht genau wusste, die er nicht verstand. Und die Opfer, die gebracht
werden mussten, waren eines dieser Dinge. Seine Antwort klang wie eine Lüge. Er
war sich nicht sicher, ob die Opfer zwingend nötig waren, ob die Gefahr
wirklich dermaßen groß war, dass man Menschen zur Reinigung und damit in den
Tod …
Wie lange waren Sie
im Overalllabor?
Die Stimme klang
anders, plötzlich etwas entspannter. Lukas fragte sich, ob das Zeremoniell nun
zu Ende wäre. War’s das gewesen? Hatte er bestanden? Er atmete die angehaltene
Luft aus, hoffte, das Mikro würde das Geräusch nicht weiterleiten.
»Nicht lange, Sir.
Bern…, also, mein Chef möchte, dass ich im Labor anfange, wenn … wissen Sie …?«
Er sah Bernard an,
der seine Brille mit zwei Fingern hielt und ihn beobachtete.
Ja, ich weiß. Wie
läuft es mit Ihrem Problem im unteren Bereich?
»Mh, gut. Ich habe
von einem umfassenden Fortschritt gehört, die Nachrichten klingen gut.« Er
räusperte sich und dachte an den Lärm der Schüsse, den er im unteren Raum im
Funkgerät gehört hatte. »Ich meine, es klingt so, als würde die Sache nicht
mehr viel länger andauern.«
Eine lange Pause.
Lukas zwang sich, tief einzuatmen und Bernard anzulächeln.
Hätten Sie
irgendetwas anders gemacht, Lukas? Von Anfang an?
Lukas spürte, wie
sein Körper schwankte und seine Knie ein wenig weich wurden. Er sah sich wieder
an diesem Konferenztisch stehen, vor ihm die kleine Frau mit den weißen Haaren
und der Bombe in der Hand. Kugeln flogen durch die Luft. Seine Kugeln.
»Nein, Sir«, sagte
er schließlich. »Es ging alles nach der Weisung, Sir. Alles ist unter
Kontrolle.«
Er wartete. Er hatte
das Gefühl, dass man ihn irgendwo bewertete.
Sie stehen in der
Leitung und Kontrolle von Silo 18 an zweiter Stelle , ertönte die Stimme.
»Danke, Sir.«
Lukas griff nach dem
Headset, er wollte es absetzen und Bernard geben, für den Fall, dass dieser
noch etwas zu sagen hatte.
Wissen Sie, was der
schlimmste Teil meiner Arbeit ist? , fragte die dumpfe Stimme.
Lukas ließ die Hände
sinken.
»Was, Sir?«
Hier zu stehen, vor
dieser Karte, und dann muss ich einen Stift nehmen und einen Silo rot
durchstreichen. Haben Sie eine Vorstellung, wie sich das anfühlt?
»Nein, Sir.«
Es ist, als würde
ein Vater Tausende Kinder verlieren, alle auf einmal.
Schweigen.
Sie werden grausam
zu Ihren Kindern sein müssen, um sie nicht zu verlieren .
Lukas dachte an
seinen Vater.
»Jawohl, Sir.«
Willkommen in der
Operation 50 der neuen Weltordnung, Lukas Kyle. Sollten Sie nun selbst ein,
zwei Fragen haben – ich habe Zeit, darauf zu antworten.
Lukas wollte sagen,
dass er keine Fragen hätte. Er wollte auflegen, wollte Juliette anrufen und mit
ihr sprechen, wollte ihre vernünftige und bodenständige Stimme hören und diesen
verrückten, bedrückenden Raum um sich herum vergessen. Aber er erinnerte sich,
dass Bernard gesagt hatte, man müsse Fragen stellen, wenn man überhaupt etwas
lernen wolle.
»Nur eine, Sir. Und
man hat mir schon gesagt, dass die Sache nicht wichtig ist. Das sehe ich auch
ein, aber ich denke, ich kann mein Amt besser ausüben, wenn ich die Antwort
weiß.«
Er hielt inne,
wartete auf eine Reaktion, aber die Stimme schien zu warten, dass er die Frage
formulierte.
Lukas räusperte sich.
»Gibt
Weitere Kostenlose Bücher