Silo: Roman (German Edition)
zeigte zur anderen Seite der Halle. »Selten
so gelacht.«
»Und was hat sie
Ihnen erzählt?«, fragte Jahns. Sie hatte ihre Suppe ganz vergessen.
»Ich habe in der
Woche die Spulen von zehn Pumpen aufgewickelt. Und die ganze Zeit darauf
gewartet, dass sie zusammenbricht. Mir taten die Finger weh. Sie konnte die
Dinger unmöglich alle bewegen.« Marck schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Aber ich
habe eine Spule nach der anderen aufgewickelt, und sie hat die fertigen Pumpen
weggeschoben und eine Weile später eine neue gebracht. Zehn Stück in sechs
Tagen. Sie ist zu Knox gegangen, der damals noch Schichtführer war, und hat
gefragt, ob sie einen Tag frei bekommen könnte.«
Shirly lachte und
sah in ihre Suppe.
»Dann hat ihr
bestimmt jemand geholfen«, sagte Marnes. »Wahrscheinlich hat sie irgendwem
leidgetan.«
Marck wischte sich
über die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Das hätte jemand gesehen
und was gesagt. Vor allem, als Knox herausfinden wollte, wie genau sie es nun
angestellt hatte. Er ist fast geplatzt vor Neugier, hat immer und immer wieder
nachgefragt. Und sie stand einfach da und hat mit den Schultern gezuckt.«
»Und wie hat sie es
nun gemacht?«, fragte Jahns.
Marck lächelte. »Sie
hat nur eine einzige Pumpe hochgeschleppt. Hat sich dabei fast das Rückgrat gebrochen,
aber eben nur bei einer Pumpe.«
»Ja, und du hast das
Ding zehnmal neu aufgewickelt«, sagte Shirly.
»Moment«, sagte
Jahns. »Und die anderen?«
»Hat sie selbst neu
gewickelt. Als sie am ersten Abend die Werkstatt gefegt hat, hat sie mich mit
Fragen gelöchert und mir bei der ersten Spule zugesehen. Als ich fertig war,
hat sie die Pumpe den Flur runtergeschoben, sich die Mühe mit der Treppe
gespart und sie mitsamt der Sackkarre in der Lackiererei versteckt. Dann ist
sie nach unten gegangen, hat die nächste Pumpe in die Werkzeugkammer geschoben
und die ganze Nacht damit verbracht, sich selbst beizubringen, wie man die
Spule neu aufwickelt.«
»Ah.« Jahns begriff
allmählich. »Und am nächsten Morgen hat sie Ihnen die Pumpe gebracht, die Sie
schon einmal gewartet hatten und die nur um die Ecke stand.«
»Genau. Dann ist sie
runtergegangen und hat vier Stockwerke tiefer die Spule aufgewickelt, genauso
wie ich oben.«
Marnes lachte laut
auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass die Schälchen und das
Brot hüpften.
»Ich habe in der
Woche im Durchschnitt zwei Motoren am Tag geschafft, das ist brutal viel.«
»Na ja, rein
technisch war das nur einer«, sagte Shirly und lachte.
»Ja. Und sie war
genauso schnell. Sie hat ihrem Schattenspender die Pumpen einen Tag früher
zurückgebracht und gefragt, ob sie den Tag frei haben könnte.«
»Sie hat tatsächlich
frei bekommen, wenn ich mich richtig erinnere«, sagte Shirly. Sie schüttelte
den Kopf. »Ein Schatten mit einem freien Tag. Vollkommen irre.«
»Kluges Mädchen«,
sagte Jahns lächelnd.
»Zu klug«, sagte
Marck.
»Was hat sie denn an
dem freien Tag gemacht?«, fragte Marnes.
Marck tauchte mit
dem Finger kurz seine Zitronenscheibe unter Wasser.
»Sie hat den Tag mit
mir und Walk verbracht, hat die Werkstatt gefegt und uns ausgefragt, wie die
Dinge funktionieren, wo die Kabel hinführen, wie man eine Schraube löst und
wieder hineinbekommt, solche Sachen.« Er trank einen Schluck Wasser. »Ich
glaube, was ich sagen will, ist: Wenn Sie Jules einen Job geben, dann seien Sie
bloß vorsichtig.«
»Wieso vorsichtig?«,
fragte Marnes.
»Weil sie den Job
dann macht. Auch wenn Sie das eigentlich gar nicht wollen.«
14. KAPITEL
Nach
dem Essen erklärten Shirly und Marck ihnen den Weg zur Schlafbaracke. Jahns
sah, wie das junge Ehepaar sich küsste. Marcks Schicht war beendet, Shirlys
fing gerade an. Die gemeinsame Mahlzeit war für sie das Frühstück, für ihn das
Abendessen gewesen. Jahns dankte ihnen für die nette Gesellschaft und das
leckere Essen, dann verließen sie und Marnes den Speisesaal, in dem es fast so
laut zuging wie in der Generatorenhalle.
Marnes sollte im
großen Schlafsaal schlafen, der von den Jungmechanikern der ersten Schicht
bewohnt wurde. Eine Koje war für ihn zurechtgemacht worden, die nach Jahns’
Schätzung zwanzig Zentimeter zu kurz für ihn war. Ein bisschen weiter den Flur
hinunter war für sie selbst eine kleine Wohnung reserviert. Die beiden
beschlossen, dort zu warten und ihre schmerzenden Beine ein bisschen
auszuruhen. Irgendwann klopfte es, und Juliette kam herein.
»Sie haben Sie
zusammen in
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