Silo: Roman (German Edition)
Tür, nur einen Schritt von Juliette entfernt. Sie roch die Seife im
Haar der jungen Frau. Sah ihre Nasenflügel beben.
»Die Tage häufen
sich und machen die kleinen Entscheidungen immer unwichtiger, nicht wahr? Die
Entscheidung, ihn nicht zu besuchen. Die ersten paar Tage verfliegen einfach
so, Sie waren jung und wütend.«
Juliette winkte ab.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Ich meine, dass aus
Tagen Wochen werden, Monate, Jahre.« Fast hätte sie gesagt, dass sie genau
dasselbe gemacht hatte, dass sie noch immer zusah, wie die Tage vergingen, aber
Marnes war dabei und hörte zu. »Eine Weile bleibt man wütend, nur um die alten
Fehler zu rechtfertigen. Und dann ist es irgendwann wie ein Spiel. Zwei Leute,
die wegsehen, sich weigern, einen Blick zurück zu werfen, weil sie Angst haben,
den ersten Schritt zu machen.«
»So war das nicht«,
sagte Juliette. »Und ich will Ihren Job nicht. Da muss es noch andere geben,
die den Posten übernehmen können.«
»Wenn Sie es nicht
machen, dann macht es jemand, von dem ich mir nicht sicher bin, ob ich ihm
vertraue.«
»Dann geben Sie den
Job einer anderen Frau.« Sie lächelte.
»Entweder Sie oder
er. Und ich schätze, er wird sich eher den Dreißigern verpflichtet fühlen als
mir oder dem Silovertrag.«
Darauf schien
Juliette zu reagieren. Ihre verschränkten Arme lösten sich. Sie sah Jahns an.
»Was ist mit Holston
passiert?«
»Er ist zur
Reinigung hinausgegangen«, sagte Jahns.
»Freiwillig«, sagte
Marnes schroff.
»Ich weiß, aber
warum?« Sie runzelte die Stirn. »Ich habe gehört, es war wegen seiner Frau.«
»Es gibt alle
möglichen Spekulationen …«
»Ich weiß noch, wie
er über Allison gesprochen hat, als Sie beide wegen Georges Tod hier unten
waren. Erst dachte ich, er flirtet mit mir, aber er hat immer nur von seiner
Frau gesprochen.«
»Sie hatten ein
Lotterielos, als wir hier unten waren«, sagte Marnes.
»Ja, stimmt.« Sie
sah zum Bett. Die Papiere lagen immer noch darauf.
»Ich wüsste doch gar
nicht, was man in diesem Job machen muss. Ich kann nur Maschinen reparieren.«
»Sie waren eine große
Hilfe bei dem Fall hier unten«, sagte Marnes. »Sie verstehen, wie die Dinge
funktionieren. Wie sie zusammenhängen. Kleine Details, die andere Leute
übersehen.«
»Menschen
unterscheiden sich nicht so sehr von Maschinen«, sagte Jahns. »Ich glaube, Sie
haben genau die richtige Einstellung. Die richtige Veranlagung. Das ist nur am
Rande ein politisches Amt. Und etwas Abstand kann nicht schaden.«
Juliette schüttelte
den Kopf und sah zu Marnes. »Dann haben Sie mich vorgeschlagen, ja? Ich habe
mich schon gewundert. Das kam ja wie aus heiterem Himmel.«
»Sie würden das sehr
gut hinkriegen«, sagte Marnes. »Ich glaube, Sie sind gut in allem, was Sie
wirklich wollen. Und es geht hier um eine wichtigere Arbeit, als Sie glauben.«
»Und ich würde ganz
oben wohnen?«
»Das Büro ist auf
Ebene eins. Gleich neben der Luftschleuse.«
Juliette schien
darüber nachzudenken.
»Ach, eines noch«,
sagte Marnes, und sein Blick begegnete Jahns’. Er betrachtete die Papiere auf
dem Bett. Der akkurat gefaltete Vertrag für Peter Billings lag obenauf. »Die IT«, sagte er.
Jahns ahnte, worauf
er hinauswollte.
»Eins müssen wir
noch klären, bevor Sie annehmen.«
»Ich weiß nicht, ob
ich annehme. Ich möchte erst noch das mit der Stromsperre klären, die Schichten
hier unten organisieren …«
»Traditionell segnet
die IT alle Neubesetzungen ab …«
Juliette verdrehte
die Augen und schnaufte: »Die IT.«
»Ja, und wir haben
auf dem Weg hierher bereits einige Gespräche geführt, damit alles glattläuft.«
»Kann ich mir
denken«, sagte Juliette.
»Es geht um diese
Materialanforderungen«, unterbrach Marnes.
Juliette drehte sich
zu ihm um.
»Moment, geht es um
das hitzebeständige Klebeband?«
»Klebeband?«
»Ja.« Juliette
runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Diese Arschlöcher.«
Jahns deutete mit
zwei Fingern etwa fünf Zentimeter an. »Sie haben eine Akte über Sie, die ist
ungefähr so dick. Sie sagen, Sie hätten Material abgezweigt, das für die IT bestimmt war.«
»Ist nicht wahr.
Machen Sie Witze?« Sie zeigte zur Tür. »Wegen denen kriegen wir die Materialien
nicht, die wir brauchen. Als ich hitzebeständiges Klebeband bestellt habe – wir
hatten vor ein paar Monaten ein Leck in einem Wärmetauscher –, haben wir keins
bekommen, weil die Versorgung gesagt hat, der komplette Vorrat sei vorgemerkt.
Das
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