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Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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also. Aber wer
sollte so etwas tun?« Das Lächeln wurde breiter, und Juliette begriff, dass
Bernard sich tatsächlich für unantastbar hielt. In ihrer Zeit als Schatten
unten in der Mechanik war sie ständig von derartigen Typen umgeben gewesen.
    »Ich denke, wir
werden herausfinden, dass wie immer derjenige der Schuldige ist, der am meisten
zu gewinnen hat«, sagte sie trocken und fügte nach einer Pause hinzu: »Mayor.«
    Das schiefe Lächeln
verschwand. Bernard ließ das Gitter los, steckte seine Hände in die Taschen und
wich zurück. »Nun, schön, dass ich endlich ein Gesicht mit Ihrem Namen
verbinden kann. Mir ist klar, dass Sie nicht viel Zeit oberhalb der Mechanik
verbracht haben, und ich habe mich, ehrlich gesagt, immer zu sehr in meinem
Büro abgeschottet. Aber das wird sich nun ändern. Sie und ich, Sheriff und
Mayor, wir werden intensiv zusammenarbeiten.« Er blickte noch einmal auf die
Akten, die vor Juliette auf dem Boden lagen. »Ich erwarte also, dass Sie mich
auf dem Laufenden halten. Über grundsätzlich alles.«
    Mit diesen Worten
drehte er sich um und ging, und Juliette musste alle ihre Willenskraft
zusammennehmen, um ihre Fäuste zu entspannen. Als sie schließlich ihre Finger
vom Stern löste, sah sie, dass sie sich an den scharfen Zacken geschnitten
hatte. Ein paar Bluttropfen schimmerten an der Kante wie nasser Rost. Sie
wischte den Stern an ihrem neuen Overall ab, eine Angewohnheit aus ihrem
vorigen Leben. Sie verfluchte sich, als sie den dunklen Blutfleck auf dem neuen
Stoff sah. Sie drehte den Stern um und betrachtete die Insignien auf der
Vorderseite: die drei Dreiecke des Silos und in einem Bogen darüber das Wort
»Sheriff«. Dann drückte sie Spange und Nadel auf der Rückseite zusammen und
ließ das Scharnier aufspringen. Im Lauf der Jahre war die feine Metallspitze an
mehreren Stellen gebogen und wieder geradegezogen worden, wodurch sie wie
handgeschmiedet wirkte. Die Nadel wackelte am Scharnier – so wie Juliette in
ihrer Entscheidung schwankte, sich das Ding anzustecken.
    Erst als Bernards
Schritte sich entfernten und sie hörte, wie er noch ein paar Worte mit Marnes
wechselte, spürte sie, wie eine neue Entschlossenheit in ihr aufstieg. Es war
wie vorher in der Mechanik, wenn sie es mit einer Schraube zu tun hatte, die
sich nicht lösen ließ. Irgendwas an dieser unerträglichen Sturheit,  an diesem Widerstreben, sich bewegen zu
lassen, machte Juliette wild. Sie war überzeugt, dass es keinen Verschluss gab,
der sich nicht öffnen ließ, sie hatte gelernt, dass sich jeder Schraube mit
genügen Schmierfett und Kraft zu Leibe rücken ließ.
    Sie schob die
wackelige Nadel durch das Brustteil ihres Overalls und schloss die Klammer auf
der Rückseite. Die meisten Ordner ließ sie liegen, nahm dann nur Holstons Akte
und zog die Tür der Zelle auf. Bevor sie in ihr Büro ging, wanderte sie zu der
gelben Stahltür der Luftschleuse hinüber und sah zum wiederholten Mal durch das
dreifach verglaste Bullauge. Sie stellte sich vor, wie der Mann, der ihr gerade
einen Besuch abgestattet hatte, in einem dieser lächerlich plumpen Anzüge
dastand und wartete, dass die Türen auf der anderen Seite sich öffneten. Was
ging einem Mann durch den Kopf, während er in der Schleuse auf sein Ende
wartete? Es konnte nicht bloß Angst sein, die man in dieser Situation empfand,
Angst hatte Juliette auch unten in der Mechanik schon ausreichend
kennengelernt. Es musste etwas anderes sein, eine ganz und gar einzigartige
Empfindung – eine Gelassenheit jenseits der Qual vielleicht oder die Lähmung im
Angesicht des Grauens. Juliette wurde klar, dass ihre Vorstellungskraft nicht
ausreichte, um ein so vollkommen fremdartiges Phänomen zu erfassen. Ähnlich wie
es unmöglich war, jemandem zu erklären, wie sich Sex anfühlte oder ein Orgasmus – ohne das Gefühl selbst erlebt zu 
haben. Nur die Verurteilten selbst konnten wissen, wie es war, vor der
gelben Stahltür zu stehen und auf den Tod zu warten.
    Juliette klopfte mit
der Kante von Holstons Akte an die gelbe Tür, sie dachte an den Sheriff zurück,
der ihr in besseren Zeiten begegnet war, damals, als er verliebt gewesen war,
ein Lotteriegewinner, der ihr von seiner Frau erzählt hatte. Juliette nickte
seinem Geist zu und trat von der Furcht einflößenden Stahltür mit dem kleinen
Bullauge zurück. Jetzt, wo sie sein Amt bekleidete, seinen Stern trug, sogar in
seiner Zelle saß, fühlte sie sich Holston seltsam verbunden. Auch sie war
einmal verliebt

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