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Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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aus, als würde sie tatsächlich brennen, sie
verbreitete einen angenehmen Schein, der nicht so stark blendete wie das Licht
in der Küche.
    Sie sah, dass der
große Papierbogen auf seinen Schenkeln voller Punkte war. Sie waren scheinbar
zufällig angeordnet, auch wenn ein paar schnurgerade Linien das Blatt in
gleichmäßige Quadrate teilten. Überall standen kleine Notizen.
    »Das Problem ist,
dass die Sterne sich bewegen«, sagte er. »Den habe ich heute hier entdeckt …«,
er tippte mit dem Finger auf einen Punkt, neben dem wiederum ein kleinerer
Punkt lag, »… und morgen um genau die gleiche Zeit wird er ein Stück weiter
dort drüben sein.« Er drehte sich zu Juliette, und sie konnte im Licht der
Taschenlampe erkennen, wie jung er noch war, Ende zwanzig. Er sah ziemlich gut
aus. Lächelnd fügte er hinzu: »Ich habe ewig lange gebraucht, um das
herauszufinden.«
    Juliette hätte ihm
gern gesagt, dass er »ewig lange« noch gar nicht am Leben sei, erinnerte sich
dann aber daran, wie sie selbst sich damals als Schatten gefühlt hatte, wenn
die Leute sie wegen ihres Alters aufgezogen hatten.
    »Wozu soll das gut
sein?«, fragte sie, und sein Lächeln verschwand.
    »Wozu soll überhaupt
irgendwas gut sein?« Er blickte zurück auf den Monitor und machte die
Taschenlampe aus. Juliette merkte, dass sie die falsche Frage gestellt hatte.
Und dann überlegte sie, ob sein Tun irgendwie gegen das Gesetz war, ob es gegen
ein Tabu verstieß. War das Sammeln von Daten über die Außenwelt genauso
harmlos, wie wenn die Leute dasaßen und auf die Hügel blickten? Sie würde
Marnes danach fragen müssen, dachte sie, dann drehte sich der Mann in der
Dunkelheit wieder zu ihr um.
    »Ich heiße Lukas.«
    Er hatte die
Taschenlampe ausgeschaltet, aber ihre Augen hatten sich ausreichend an die
Dunkelheit gewöhnt. Sie sah seine ausgestreckte Hand. »Juliette«, antwortete
sie und drückte seine Hand.
    »Der neue Sheriff.«
    Es war keine Frage,
natürlich wusste er, wer sie war. Jeder im oberen Drittel schien sie zu kennen.
    »Was machst du, wenn
du nicht hier oben bist?«, fragte sie.
    »Ich wohne oben
mittig«, sagte Lukas. »Tagsüber arbeite ich an den Computern. Ich komme nur
rauf, wenn die Sicht gut ist.« Er schaltete die Taschenlampe wieder ein und sah
Juliette konzentriert an – sie schloss daraus, dass die Sterne ihm nun nicht
mehr das Wichtigste waren. »Ein Kumpel aus meinem Stockwerk arbeitet die
Abendschicht hier in der Kantine. Wenn er Feierabend hat und nach unten kommt,
sagt er mir, wie dicht die Wolkendecke ist. Und wenn er mir sagt, dass der
Himmel einigermaßen frei ist, versuche ich mein Glück.«
    »Du zeichnest also
eine Karte von den Sternen?« Sie deutete auf den großen Papierbogen.
    »Ich versuch’s. Aber
wahrscheinlich braucht es mehrere Menschenleben, bis die Karte fertig ist.« Er
steckte sich die Zeichenkohle hinters Ohr, zog einen Lappen aus seinem Overall
und wischte sich die schwarzen Flecken von den Fingern.
    »Vielleicht kann ich
irgendeinen Schatten für mein Hobby begeistern, und der macht dann weiter, wo
ich aufgehört habe.«
    »Also wortwörtlich:
mehrere Menschenleben.«
    Er lachte. Sehr
sympathisch, wie Juliette fand. »Mindestens.«
    »Na, dann lass ich
dich mal weiterarbeiten.« Sie stand auf, gab ihm die Hand, und er ergriff sie
herzlich. Mit der anderen Hand umschloss er ihren Handrücken und hielt sie
einen Moment länger fest, als Juliette erwartet hatte.
    »Schön, dich
kennenzulernen, Sheriff.«
    Er lächelte sie an.
Sie verstand selbst kein Wort von dem, was sie als Antwort stammelte.

21. KAPITEL
    Nach
kaum mehr als vier Stunden Schlaf saß Juliette am nächsten Morgen wieder am
Schreibtisch. Neben ihrem Computer wartete ein Päckchen auf sie, ein kleiner
Stapel, eingewickelt in Recyclingpapier und zusammengehalten von zwei weißen
Kabelbindern. Dieses letzte Detail entlockte ihr ein Grinsen, sie griff sofort
in ihren Overall und zog ihr Multitool hervor. Sie klappte den kleinsten Bohrer
aus, steckte ihn in den Verschluss des ersten Binders und drückte vorsichtig
die Sperrzunge zurück, damit sie intakt blieb und der Kabelbinder noch einmal
zu verwenden war.
    Sie erinnerte sich
an den Ärger, den sie bekommen hatte, als sie vor Jahrzehnten als Schatten im
Maschinenraum dabei erwischt worden war, als sie einen Kabelbinder einfach
aufschnitt. Walker, damals schon ein alter Griesgram, hatte sie wegen dieser
Verschwendung angebrüllt und ihr dann gezeigt, wie sich die kleine

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