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Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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bringen. Dann eilte auf der Treppe ein Träger an ihr vorbei – ein Lächeln zum Gruß, seine Füße tanzten über die Stahlstufen –, und sie
überlegte, ob es vielleicht nur ein bisschen Training brauchte.
    Als sie endlich oben
ankam, war Mittagessenszeit, die Kantine hallte vom lauten Geplauder und vom
Scheppern der Esstabletts wider. Der Stapel der zusammengefalteten Trauerkarten
auf der Ablage vor ihrer Bürotür war weiter angewachsen. Jemand hatte eine
Pflanze in einem Plastikeimer abgestellt, ein Paar Schuhe, eine kleine Skulptur
aus buntem Draht. Juliette blieb vor dem Sammelsurium stehen. Da Marnes keine
Angehörigen hatte, würde wohl sie die Sachen sichten und dafür sorgen müssen,
dass diejenigen sie bekamen, die sie am besten brauchen konnten. Sie bückte
sich und hob eine Karte auf. Der Gruß war in krakeligen Druckbuchstaben geschrieben,
und sie vermutete, dass in der Grundschule des oberen Bereichs im
Werkunterricht heute Trauerkarten für den Deputy angefertigt worden waren. Das
traf Juliette mehr als jede Trauerfeier. Sie verfluchte die Lehrer, die die
Kinder unbedingt in die Widerwärtigkeit des Ganzen hineinziehen mussten.
    »Lasst doch
wenigstens die Kleinen in Ruhe!«, sagte sie zu sich selbst.
    Sie legte die Karte
zurück und riss sich zusammen. Marnes hätte die Geste gemocht, nahm sie an, er
war ein umgänglicher Mensch gewesen, einer, der überall alt geworden war, nur
nicht im Herzen. Dieses Organ war nicht strapaziert worden, weil er sich nie
getraut hatte, es überhaupt zu benutzen.
    Zu ihrer
Überraschung war sie nicht allein im Büro. An Marnes’ Schreibtisch saß ein
Fremder. Er blickte vom Bildschirm auf und lächelte sie an. Sie wollte schon
fragen, mit wem sie es zu tun hätte, als Bernard – den sie sich nicht einmal
als »kommissarischen« Mayor vorstellen mochte – mit einem Aktenordner in der
Hand aus der Arrestzelle kam.
    »Wie war die
Trauerfeier?«, fragte er.
    Juliette ging durch
den Raum und riss ihm den Ordner aus der Hand. »Bitte bringen Sie hier nichts
durcheinander!«
    »Durcheinanderbringen?«
Bernard lachte und schob seine Brille hoch. »Das ist eine geschlossene Akte.
Ich hatte vor, sie mit in mein Büro zu nehmen und abzulegen.«
    Juliette blickte auf
den Ordner – es war Holstons Akte.
    »Sie wissen, dass
Sie mir prinzipiell Bericht erstatten müssen, nicht wahr? Sie hätten vor Ihrem
ersten Arbeitstag zumindest einen kurzen Blick in den Silovertrag werfen
können.«
    »Das behalte ich.
Danke.« Juliette ließ ihn vor der offenen Zellentür stehen und ging zu ihrem
Schreibtisch. Sie schob die Akte in die oberste Schublade, sah nach, ob der
Memorystick noch in ihrem Rechner steckte, und warf dem Mann ihr gegenüber
einen Blick zu.
    »Und Sie sind?«
    Er stand auf.
Marnes’ Stuhl gab sein übliches Knarzen von sich, und Juliette musste sich
zwingen, nicht an den alten Deputy zu denken.
    »Peter Billings.« Er
streckte die Hand aus, Juliette erwiderte die Geste. »Ich bin selbst gerade
erst vereidigt worden.« Er nahm eine Zacke seines Sterns zwischen die Finger
und zog ihn ein Stückchen von seinem Overall ab.
    »Peter sollte
eigentlich Ihren Posten bekommen«, sagte Bernard.
    Juliette überlegte,
was sie mit dieser Information nun anfangen sollte. »Brauchen Sie etwas von
mir?«, fragte sie Bernard und deutete mit einer ausladenden Geste auf ihren
Schreibtisch, auf dem sich die Akten stapelten, weil sie den ganzen Tag damit
zugebracht hatte, Marnes’ Angelegenheiten zu regeln. »Denn alles, was ich von
Ihnen bekomme, landet am unteren Ende von einem dieser Stapel hier.«
    »Alles, was Sie von
mir bekommen, hat Priorität!« Bernard schlug mit der flachen Hand auf die Akte
Jahns. »Und ich tue Ihnen übrigens einen Gefallen, indem ich zu Ihnen
hinaufkomme und diese Unterredung hier führe, anstatt Sie in mein Büro
hinunterzuzitieren!«
    »Um was soll es denn
gehen in dieser Unterredung?« Juliette sah ihn nicht an, sie sortierte
Unterlagen. Sie hoffte, er würde gehen, wenn er sah, wie beschäftigt sie war,
und vielleicht könnte sie dann schauen, was sich mit diesem Peter anfangen ließ
und ob er ihr etwas Arbeit abnehmen könnte.
    »Wie Sie wissen, gab
es in den letzten Wochen eine ziemliche … Fluktuation . So etwas ist noch
nie passiert, zumindest nicht seit dem Aufstand. Und ich fürchte, diese Unruhe
birgt eine gewisse Gefahr, wenn wir nicht alle am selben Strang ziehen.« Er
drückte seinen Finger auf die Akte, die Juliette wegziehen wollte, und

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