Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
reichte Plotek die Hand.
»Und bald mein Ehemann.«
Agatha lachte. Beat auch. Allerdings weniger euphorisch, eher wie aus Solidarität.
»Mein neues Glück.«
Sie küsste ihn auf die Wange. Wobei ihre Wangen strahlten, als wären kleine Heizkissen implantiert. Der Tote im Wald schien in Anbetracht dieser Freude vergessen.
So lange, bis Linard Jäggi mit seinem Motorroller den Berg heruntergeknattert kam und vor ihnen anhielt. Auf den Rücken hatte er ein Gewehr geschnallt. Er stieg von seiner Lambretta ab und fragte, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen: »Wo ist er?«
»Wer?«, fragte Beat.
»Der Tote!«
»Ach so, ja.«
Plotek ging voraus, die anderen folgten. Das Erste, was Jäggi sagte, als er den entkleideten Toten im Schnee erblickte, war: »Jetzt bringen sich auch schon die Elvisse um!«
»Das ist doch Wahnsinn«, ergänzte Agatha und hielt ihrem Kind die Augen zu.
»Das ist nicht Wahnsinn, das ist die gelbe Gefahr.« Jäggi, noch immer mit der Pfeife im Mund, redete sich in Rage. »Das hat doch alles mit diesen Chinesen zu tun.«
»Jäggi!« Beat versuchte ihn zu bremsen.
»Mit den Chinesen?«, fragte Plotek wenig überzeugt.
»Mit den Chinesen!«
»Jäggi!« Wieder Beat.
»Ist doch wahr.«
»Wie meinen Sie das?«, wollte Plotek wissen.
»So, wie ich es sage.« Dabei sagte er nichts mehr.
Dafür sagte Beat etwas, nämlich: »Er meint die Investoren hier in Sils. Hotels, Restaurants …«
»Die kaufen hier alles auf«, ging Jäggi dazwischen. »Bringen die Menschen durcheinander.«
»Wer?«
»Na, diese Chinesen!«
»Sie meinen das Hotel Zentral ?« Plotek dachte an Frau Pan.
»Und noch ein paar andere. Den Rütlihof haben sie sich jetzt auch unter den Nagel gerissen.«
» Rütlihof ?«
»Das Hotel gleich beim Gemeindehaus«, kam von Jäggi. »Und die Edelrose .«
» Edelrose ?«
»Die Baustelle gleich gegenüber dem Nietzschehaus. Das Hotel wird mit Ferienwohnungen erweitert.«
»Seit ein paar Jahren werden Hotels von Investoren aufgekauft«, ergriff Beat wieder das Wort. »Es hat sich herausgestellt, dass dahinter eine Gruppe von chinesischen Anlegern steckt.«
»Die wollen Sils übernehmen«, kam von Jäggi.
»Quatsch!« Beat schüttelte den Kopf.
»Dabei ist ihnen jedes Mittel recht.«
»Frau Pan?«, fragte Plotek.
»Quatsch!«, kam wieder von Beat. »Die kann nichts dafür. Die ist da doch nur angestellt.«
»Aber wo ist denn da der Zusammenhang?«, wollte Plotek wissen.
»Welcher Zusammenhang?«, fragte nun Agatha, noch immer mit der Hand vor den Augen des Kindes.
»Ich meine, zwischen den Kältetoten und den Chinesen?«
Jäggi sah aus, als wüsste er es auch nicht genau, als wäre er aber von einem Zusammenhang fest überzeugt. Eine Antwort bekam Plotek jedenfalls nicht.
Stattdessen sagte Agatha: »Selbst das Hotel Waldhaus ist wahrscheinlich bald dran.«
»Dann ist alles vorbei«, mischte sich Jäggi wieder ein.
»Das Hotel hier auf dem Berg?«, fragte Plotek.
»Genau das.«
»Wie weißt du das?«
»Beats Verwandtschaft gehört das Waldhaus .« Agatha sagte es, als wäre das ein Grund mehr für ihr gemeinsames Glück.
»Noch, ja!« Jäggi gab sich nicht geschlagen. »Aber die Chinesen marschieren ein. Die gelbe Gefahr ist auf dem Vormarsch.«
»Na, so schlimm ist es auch nicht«, versuchte Beat lachend zu relativieren. »Immerhin leben wir seit Jahrzehnten schon von den Touristen.«
»Ja, und die trampeln unsere Natur kaputt«, sagte Jäggi augenblicklich, als hätte er auf diesen Themenwechsel gewartet. »Die Welt könnte so viel schöner sein ohne diese Bagage. Sollen sie doch zu Hause bleiben.« Er sah zu Plotek, als wollte er ihn fragen: »Was willst du eigentlich hier?« Fragte es aber nicht, sondern sagte: »Die braucht doch niemand.«
Da waren andere vermutlich ganz anderer Meinung. Auch Beat.
»Sils lebt vom Tourismus, vergiss das nicht! Das ganze Engadin. Schon immer. Bei vierhunderttausend pro Jahr bleibt für den Gemeindesäckel, die Hoteliers, die Restaurants und so weiter einiges übrig. Das ist nicht zu unterschätzen!«
»Ach was, Schmerzensgeld ist das, mehr nicht.« Jäggi winkte ab, nahm das erste Mal seine Pfeife aus dem Mund und klopfte sie gegen einen Baum. Die Pfeife hörte sich an wie ein Specht. Ein sprechender Specht. »Jeder soll bleiben, wo er hingehört.«
»Soso, und was machst du dann einmal im Monat in Zürich, hä?« Vermutlich mehr rhetorisch als ernst gemeint. Beat schien ganz genau zu wissen, was vor sich ging.
Und
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