Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Möglichkeit natürlich nur für die guten. Der Elvis-Imitator roch nicht schlecht. Zumindest nicht wie ein Toter. Er roch nach einem Eau de Toilette. Eindeutig. Nach welchem, konnte Plotek nicht sagen. Aber gerochen hatte er es auch schon an anderen Männern, außer dem Toten.
»Sie wissen nicht zufällig, wonach?«
Plotek versuchte sich zu erinnern. »Zimt, Estragon, Sandelholz, Nelken, Patschuli«, zählte er auf.
»Stimmt«, kam von der Hauptkommissarin. »Und Vetiver.«
»Stimmt auch«, kam von Plotek.
6
Der dritte Tag ohne feste Nahrung! In seinem Zimmer blickte Plotek in den Spiegel über dem Waschbecken und erschrak. Das Gesicht, das ihn von da aus anstarrte, sah aus wie aus einer Krisenregion. Hungerkatastrophe. Äthiopien, Somalia, Biafra. Ausgemergelt, die Wangen leicht eingefallen, der Blick glasig, das Doppelkinn nicht mehr doppelt. Trotz des erschreckenden Aussehens fühlte er sich nicht schlecht. Eher das Gegenteil. Wach, frisch und äußerst sensibilisiert. Dazu kam eine gesunde Bräune. Da sieht man mal wieder, dass das eine mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun haben muss. Nicht demjenigen, der am ansehnlichsten aussieht, geht es auch am besten. Und umgekehrt.
Schönheit wird überbewertet, dachte Plotek. Und dann: Wie sich wohl Frau Frischknecht fühlt? Im Umkehrschluss ja wohl ziemlich beschissen. Trotz einem Gesicht wie aus der Werbung für ewiges Leben. Oder Frau Wehrli? Bei diesen Gedanken legte sich ein zufriedenes Lächeln auf sein mageres Gesicht. Nur dass es vor seinen Augen, vor allem bei schnellen Kopfbewegungen, flimmerte und es über dem rechten Lid wieder zuckte, beunruhigte ihn ein bisschen.
»Fünfzehn Kilo«, sagte Marlies beim Frühstück auf der Terrasse und drehte sich wie eine aufgepumpte Ballerina einmal um sich selbst. »Und Sie?«
Plotek hob die Schultern und nippte am Tee, der tatsächlich nicht mehr ganz so scheußlich wie noch am Anfang schmeckte.
»Wollen Sie sich nicht mal wiegen?«
»Lieber nicht.«
»Ich schätze mal sechs Kilo.« Marlies begutachtete Plotek wie eine Ernährungsberaterin mit Spezialisierung auf Kalorienverbrennung. »Mindestens!« Das sollte wohl wie ein Kompliment klingen. »Da ist noch mehr drin.« Marlies hörte sich überzeugt an. »Viel mehr!«
Noch vier Wochen und ich bin auch verschwunden, dachte Plotek und konnte sich nicht so recht darüber freuen.
Zum ersten Mal stürzte Plotek beim Qigong nicht auf die Matte. Die Verbindung zwischen Himmel und Erde wollte aber dennoch nicht klappen.
»Was ist?« Britta mit den spitzen Brüsten tauchte neben ihm auf und legte ihre Hand beruhigend auf seinen Rücken. »Sie wirken heute Morgen so unkonzentriert.«
Stimmte nicht. Plotek war hoch konzentriert. Nur nicht auf die Verbindung zwischen Himmel und Erde . Sondern auf das Ehepaar Wehrli, das auf dem Parkplatz vor der Klinik in einen kleinen Disput verwickelt zu sein schien. Plotek hatte sie zufällig bei der Suche nach der Verbindung durch die Glasfront des Gymnastikraums gesehen. Seitdem war nur mehr ein Gedanke in seinem Kopf. Also im Prinzip auch Qigong.
»Lassen Sie los. Lassen Sie alle Gedanken durch sich hindurch. Werden Sie durchlässig. Konzentrieren Sie sich nur auf Ihren Körper.« Britta strich mit ihrer Handfläche wie mit einem Bügeleisen über seinen Rücken, immer wieder, sodass es Plotek ganz warm wurde.
Dennoch konnte er den einen Gedanken nicht durch sich hindurchlassen. Er klebte daran fest wie eine Fliege am von der Decke hängenden Fliegenfänger: hygienisch, insektizidfrei, umweltfreundlich, mit Sofortwirkung und Langzeitschutz. Er dachte nur noch diesen einen Gedanken. Nämlich: Was haben Dr. Wehrli und seine reizende Frau, die an diesem Morgen wieder wie direkt dem Himmel entschwebt aussah, für ein strittiges Thema, dass der Engel zwischen den beiden Autos der Wehrlis, einem Porsche Cayenne und einem Mercedes Jeep, herumtigert wie ein Derwisch?
»Kommen Sie mit, legen Sie sich einfach ein wenig hin. Nur atmen, das hilft.«
Britta begleitete Plotek in das benachbarte Behandlungszimmer. Oder besser: Sie eskortierte ihn, mit leichtem Druck auf die Schulter, weg von der Glasfront, als hätte auch sie die Wehrlis gesehen und wollte sie jetzt vor Ploteks Blick schützen. Aus dem Augenwinkel konnte Plotek aber noch erkennen, wie Frau Wehrli ihren Mann einfach stehen ließ wie eine Notrufsäule am Seitenstreifen einer Autobahn und vom Parkplatz hetzte.
Im benachbarten Behandlungszimmer legte sich Plotek auf
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