Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Mann.«
Das saß! Selina erstarrte. Der Blick flackernd, kalt, unschlüssig, ob sie Plotek an den Hals springen oder den Rückzug antreten sollte. Die alte Wehrli horchte auf und fragte: »Was habt ihr denn?«
»Ach nichts, alles in Ordnung.« Selina kapitulierte.
Das klang aber durch die Tür ganz anders, dachte Plotek und sah nun wieder zum blassen Jungen, der gerade dabei war, im Schoß der Alten einzuschlafen.
»Haben Sie eigentlich Ihren Mittagstrunk schon zu sich genommen?« Der Mittagstrunk klang wie Giftbecher.
»Nein.«
»Na, dann wird es aber Zeit.«
Die Haare auf den Zähnen dieser schönen Frau wurden jetzt deutlich sichtbar. Der Engel mutierte zum Teufel.
Plotek zog es vor, schnellstens zu verschwinden.
12
Um die kirchliche Vermählung kamen Plotek und Vinzi letztendlich doch nicht herum, obwohl sie sich wanden wie Flussaale beim Ablaichen. Agatha bestand auf ihre Anwesenheit und behauptete, das sei das schönste Hochzeitsgeschenk, das die beiden ihr machen könnten.
»Keine Widerrede!« und »Ihr wollt mir doch nicht etwa den schönsten Tag meines Lebens versauen, oder?!«
Der schönste Tag des einen kann schnell zum übelsten des anderen werden, dachten Plotek und Vinzi und ergaben sich schließlich dem Psychodruck der Braut.
Die katholische Kirche von Sils Maria, die von außen gar nicht wie eine Kirche aussah, sondern wie eine missglückte Turnhalle, war vollgestopft bis auf den letzten Platz, sodass ein Besucher mehr oder weniger eigentlich nicht aufgefallen wäre. Dennoch wagten Plotek und Vinzi es nicht, der Eheschließung fernzubleiben. Immerhin konnten sie sich mit ähnlich halbherzigen Bedenken und Ausreden erfolgreich vor der Trauzeugenschaft drücken.
»Feiglinge!« Agatha hatte sie durchschaut und kein Blatt vor den Mund genommen.
Wer will schon vor dem Altar in Gegenwart Gottes zum Helden werden?, dachte Plotek und nickte aus tiefster Überzeugung.
Beats Trauzeugin war, das verwunderte nun gar nicht, die alte Wehrli. Sie sah fast unscheinbar inmitten der Hochzeitsgesellschaft aus. Weniger war bei ihr wohl mehr. Man merkte dieser Frau aber auf den zweiten Blick sofort an, dass sie Erfahrung im Umgang mit Macht und Geld hatte. Sehr viel Erfahrung sogar. Die Trauzeugin von Agatha hatten Plotek und Vinzi hingegen keineswegs auf dem Zettel stehen. Sie wussten bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, dass sich die beiden überhaupt kannten.
»So lange kennen wir uns auch noch gar nicht. Dafür umso besser!«, sagte Agatha, als Plotek ihre Trauzeugin vor der Kirche erblickte und sich verwundert die Augen rieb.
Es war Britta, die Qigong-Expertin, die in ihrem langen schwarzen Samtkleid mit einem tiefen, ganz tiefen Ausschnitt zum Anbeißen schön aussah. Ihre Brüste wirkten in dieser maßgeschneiderten Verzückung gar nicht mehr so spitz, eher rund und mit einem Dekolleté wie gemalt. Sicher kam dieser Einblick nur durch technische Hilfsmittel zustande. Soll heißen: Wonderbra, Push-up, Stützkorsett oder dergleichen. Das war Plotek sofort klar. Auch ihre langen, schlanken Beine kamen durch das Kleid besonders gut zur Geltung. Vinzi schien beim Anblick dieser durchtrainierten Schönheit das Wasser im Mund zusammenzulaufen und war nur mehr mit Schlucken beschäftigt.
Und auch die meisten anderen Gäste in der Kirche schienen auf der Sonnenseite des Lebens zu Hause zu sein. Es sah alles sehr vornehm und gepflegt aus, elegant in kostbaren Kleidern verpackt.
Allen voran das Brautpaar. Die Braut ganz in Weiß und ebenfalls zum Anbeißen schön. Der Bräutigam im schwarzen, perfekt sitzenden Anzug wirkte, als wäre er gerade aus einem Modemagazin herausgefallen. Ein schönes Brautpaar. Die Männer schauten neidisch auf den Bräutigam. Die Frauen noch neidischer auf die Braut. Ein Glück, wer so einen Mann zum Ehegatten nehmen konnte, schienen die meisten zu denken und malten sich vermutlich aus, wie es wäre, mit diesem unverschämt gut aussehenden Beat die Hochzeitsnacht zu verbringen.
Selina Wehrli wirkte ebenfalls, als gingen ihr derartige Gedanken durch den Kopf. Natürlich war auch sie eine Augenweide. Sie trug ein rotes Kleid, das bis zu den Knien ging, lange Ärmel hatte und am Hals ganz geschlossen war, als wollte sie möglichst wenig von sich preisgeben. Um womöglich die Fantasie der anderen von dem, was sich darunter befand, zu entfachen. Ein Engel in Rot und mit High Heels! Dr. Matteo Wehrli wirkte neben ihr mickrig und fahl, so als trennte die beiden nicht nur ein
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