Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Hilfe: »Selina, bitte, es gibt keinen Grund, sich hier so künstlich aufzuregen …« Weit kam der Doktor aber nicht mit seiner Vermittlung.
»Ja, das ist mal wieder typisch!« Selina war in Hochform. »Bloß keine Konflikte. Wie immer. Du bist doch der, der die Auseinandersetzung scheut.Der jedem Ärger aus dem Weg geht.«
»Selina, bitte. Wir müssen das doch nicht vor unseren Patienten besprechen.«
Dr. Wehrli warf Plotek einen Blick zu, der die Einschätzung des Doktors sofort unterschrieben hätte, da er sich in diesem Stellungskrieg völlig deplatziert vorkam.
»Wann denn dann?«
»Selina, bitte.«
» Selina, bitte. Selina, bitte «, äffte sie ihren Mann nach wie zuvor die Qigong-Expertin. »Gibt es denn überhaupt eine Gelegenheit, das mit dir zu besprechen?« Es klang hämisch, auch ziemlich frustriert.
Und Überraschung: Britta meldete sich wieder, wie von den Toten auferstanden, zu Wort. »Also ich finde schon, dass man mit Dr. Wehrli auch mal Konflikte ausdiskutieren …«
» Du ?!«, ging Selina wie mit einem Dolchstoß dazwischen und nagelte das Insekt wie Jesus am Kreuz wieder fest. »Was du findest, ist mir scheißegal.« Selina gab das distanzierte Sie auf und wechselte ins vulgärere Du über.
Das Verhältnis der beiden scheint nicht das beste zu sein, dachte Plotek, der noch immer im Behandlungszimmer stand und sich zunehmend unwohler fühlte.
»Aber …«
»Britta!«, versuchte jetzt auch Dr. Wehrli die Qigong-Expertin zurückzupfeifen. Das war für Britta nun eindeutig zu viel. Sie brach in Tränen aus und verließ mit den Händen vor dem Gesicht den Raum. Betroffene, vor allem aber schweigende Menschen blieben zurück. Fürs Erste.
Dann fing sich Selina wieder und fragte: »Willst du nicht hinterher?« Sie zeigte mit einer lässigen Handbewegung zur Tür. »Trösten?«
Dr. Wehrli schüttelte den Kopf und sah flehentlich zu seiner Frau.
Wieder entstand eine kurze Pause, in die Plotek kleinlaut hineinfragte: »Also, verzeihen Sie, aber was mich betrifft … ich meine, bei mir ist soweit alles im Reinen, oder?«
Kraftloses Nicken von Dr. Wehrli. Nichts war mehr von seiner anfänglichen Begeisterung vorhanden.
»Dann geh ich mal, oder?« Plotek bewegte sich Richtung Tür, blieb aber kurz davor noch einmal stehen. Er drehte sich zu den beiden um und fragte fast wie nebenbei: »Kommen Sie eigentlich auch zur Hochzeit?«
Es schien die falsche Frage zur falschen Zeit zu sein. Das zumindest ließen die Antworten vermuten. So unterschiedlich und doch so gleich. Gleich entschlossen und gleich überzeugend.
»Nein«, sagte Dr. Wehrli und »Ja« Selina.
Diese unterschiedlichen Antworten auf dieselbe Frage waren bezeichnend für den Konflikt der Eheleute Wehrli.
Natürlich wird auch Dr. Wehrli zur Hochzeit kommen, dachte Plotek, da werden ihm Selina und vor allem seine Mutter gar keine andere Wahl lassen.
Kaum war Plotek aus dem Raum, fielen die beiden wieder übereinander her wie hungrige Raubtiere über einen Fetzen Fleisch. Eine Weile blieb Plotek noch an der geschlossenen Tür stehen und lauschte mit dem Ohr am Holz. Erstaunlicherweise war es jetzt Dr. Wehrli, der die Stimme erhob.
»… du bist doch die, die immer alles verheimlicht.«
Selina schoss ebenso scharf zurück: »Soso, was denn, hä? Was verheimliche ich denn?«
Dr. Wehrli versuchte zu lachen, was aber gründlich misslang. »Selina, glaubst du wirklich, ich bin so naiv?«
Selina schien nicht genau zu wissen, was sie glauben sollte. »Worauf willst du hinaus?« Es klang nüchtern wie die Gebrauchsanweisung für ein elektrisches Brotmesser. Bevor man die Finger in die Klinge hält.
»Schau dir doch Leandro an!« Dr. Wehrli war anscheinend wenig von diesem frostigen Ton seiner Frau beeindruckt.
»Leandro? Was hat unser Sohn damit zu tun?« Ihre Stimme klang jetzt fast mechanisch. »Was hat er damit zu tun, dass du nicht fähig bist, eine für uns alle befriedigende Ehe zu führen?«
Das saß! Dr. Wehrli taumelte, das glaubte Plotek zumindest durch die geschlossene Tür hindurch vernehmen zu können.
»Selina, das ist doch nicht dein Ernst, oder?« Dr. Wehrli klang tatsächlich angeschlagen, leiser und verbitterter als noch zuvor. » Eine für alle befriedigende Ehe ?« Das Zitat hörte sich wie der Kontoauszug eines völlig überschuldeten Bankkontos an. Da war kein Funken von Haben mehr. Da war nur noch eine Bankrotterklärung, gefolgt von einem hoffnungslosen Fragezeichen. »Ist unsere Ehe für dich also nicht
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