Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
befriedigend?« Das Fragezeichen verkümmerte. »Ich tue doch alles, um …«
»Vergiss es!« Selina machte gnadenlos Kassensturz. »Das ist nicht genug!«
Dr. Wehrli schien plötzlich zu begreifen, dass die Stunde geschlagen hatte.
»Ach so«, sagte er, nun nicht mehr so betrübt, eher angriffslustig. »So ist das also. Und deshalb holst du dir das, was fehlt, woanders, was?« Er bekam nun Oberwasser.
»Was soll das?« Selina hingegen erhielt einen Dämpfer. Diese nebulöse Anschuldigung hatte sie von ihrem Mann offenbar nicht erwartet. »Ich hole mir nichts, nirgends.« Dann lachte sie wieder, kurz und hämisch. »Schön wär’s. Ich leide, Matteo, sonst nichts!«
Der Doktor ließ sich dadurch aber keineswegs beeindrucken. Unverändert legte er nach: »Davon merke ich aber nichts, meine Liebe!«
»Ja, weil du so unsensibel bist wie der Tisch hier. Ein Stück hartes Holz!« Dabei schlug sie mit ihrer flachen Hand und voller Wucht auf die Tischfläche, dass es knallte. Plotek zuckte vor Schreck zusammen.
»Unsensibel?« Auch jetzt schien Matteo nicht klein beigeben zu wollen. Eher das Gegenteil. »Ich bin sensibler, als du denkst, als es dir womöglich lieb ist. Und glaube mir: Was man einmal weiß, kann man nicht mehr vergessen.«
»Was? Was weißt du denn? Hä? Nichts, nichts weißt du, gar nichts.«
»Noch nicht, stimmt, aber bald. Bald werde ich Bescheid wissen, ganz genau Bescheid sogar, Selina, und dann …«
Er stockte und machte ein paar Schritte auf die Tür zu. Was Plotek zum Anlass nahm, sein Ohr von derselbigen zu nehmen und sich eilig davonzumachen.
Er ging den Flur entlang und bog um die Ecke, wo er genau in Marlies lief. Als hätte sie dort auf ihn gewartet. Der Aufprall war weich, geschmeidig, als wäre er in einem kuscheligen Haufen Fettgewebe gelandet.
»Es tut mir leid, Plotek«, war das Erste, was aus Marlies’ Mund kam.
Mir auch, dachte Plotek und musste im nächsten Augenblick feststellen, dass sie gar nicht die kleine Kollision gemeint hatte.
»Ich habe überreagiert.« Offenbar bezog sie sich auf ihr Verhältnis zu Plotek generell.
Ist das jetzt eine neue Strategie von Marlies, dachte Plotek, oder ist sie wirklich einsichtig?
»Sind wir wieder gut?« Sie versperrte ihm noch immer den Weg und streckte ihm dabei ihre schöne Hand entgegen. Plotek griff danach. Woraufhin Marlies nun seine festhielt. Wie es schien, wollte sie sie auch gar nicht mehr loslassen.
»Gut siehst du aus«, sagte sie, noch immer mit seiner Hand in ihrer. »Wenn du so weitermachst, überholst du mich noch.« Der Druck ihrer Hand wurde stärker. »Wie viel?«
»Zwölf Kilo.«
»Wow.« Es klang nach aufrichtiger Bewunderung.
Mir egal, dachte Plotek, viel lieber wäre mir, wenn sie endlich meine Hand loslassen würde.
»Eines würde mich aber noch interessieren.« Marlies schien nicht daran zu denken. »Was hat sie , was ich nicht hab?«
Von wirklicher Einsicht konnte also keine Rede sein. Eher doch neue Strategie. Ploteks Hand war noch immer in Marlies’ fest verfangen.
»Der Händedruck«, sagte er, jetzt schon ein wenig unter Schmerzen.
»Was ist mit dem Händedruck?«
»Der ist bei Agnes nicht so fest.«
Schon ließ ihrer nach, was Plotek schamlos ausnutzte, um ihr seine Hand zu entziehen. Noch ehe Marlies darauf reagieren konnte, war Plotek verschwunden.
Auf der Terrasse, zurückgezogen in eine windstille Ecke, stand Britta wie ein zusammengefallenes Häufchen Elend mit verheulten Augen und zog hastig an einer Zigarette. Zuerst sah Plotek sie gar nicht. Erst als sie ab und zu schniefte, bemerkte er sie.
»Geht es wieder?« Plotek trat an Britta heran. Ihre Brüste unterm T-Shirt sahen aus wie Zeigefinger.
»Nee.« Es klang trotzig. Die Mundwinkel heruntergezogen, die Lippen ganz blau, die Augen umgeben von ver schmierter Wimperntusche. Ein fröstelndes Häufchen Elen d mit großer Wut.
»Sie lieben ihn, was?«
Britta erschrak. »Wie wollen Sie das wissen, dass …«
Schon zu spät. Hatte sie sich schon verraten. Das schien ihr jetzt auch aufzufallen. Sie wirkte hin und her gerissen zwischen noch mehr Wut und dem Bedürfnis nach Mitleid.
»Er liebt Sie auch«, sagte Plotek, einfach so, weil er wusste, dass Britta das gerne hören würde.
»Wie wissen Sie, dass … dass Matteo …« Sie unterbrach sich selbst, sah ihn verwundert, aber auch ein wenig erleichtert an.
»Ich sehe das.«
Das Elend bekam wieder Hoffnung. Das Gesicht sah nun nicht mehr ganz so derangiert aus. Einzig die
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