Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
sich selbst zu fliehen.
Sie lächelte. Sie konnte nicht mehr verhindern, dass sie sowohl das eine als auch das andere war.
Es war zu spät.
Sie kam sich vor, als würde sie ihrem eigenen Schicksal gegenüberstehen.
»Der DURST zehrt mich auf«, murmelte sie. »Ich weiß nicht, wie lange ich noch dagegen ankämpfen kann …«
Rhys’ Antwort schien einem Traum zu entsteigen. Oder einem Albtraum. Doch Winter wollte sich nicht mehr widersetzen. Als ihre Finger sich berührten, beobachtete sie die Bewegung wie hypnotisiert.
»Dann hör auf, gegen ihn anzukämpfen.« Rhys führte ihre Hand an seine Lippen. »Du wirst das, was du jetzt empfindest, zu kontrollieren lernen …« Er setzte sich und sie tat es ihm nach. »Ich verspreche es dir, Winter.«
Vielleicht wäre sie davongelaufen, wenn er nicht diese Worte zu ihr gesagt hätte, doch sie entschied, ihm Glauben zu schenken.
Sie sank in seine Arme und legte den Kopf an seine Brust, um seinen Herzschlag zu hören. Ihre Gedanken, ihre Gefühle wurden eins, und in diesem Moment war es wunderschön und keineswegs erschreckend.
Das Blut, die MACHT und der DURST gehörten zu ihnen, waren Teil dessen, was sie vereinte und sie für immer vereinen würde.
Winter kam es vor, als würden sich Traumnebel erheben und sie umhüllen. Es galten andere Regeln in diesem aus der Zeit gefallenen Augenblick, eine zugleich süße und schmerzliche Trunkenheit. Sie war unbezwingbar, so verführerisch, dass Winter sich nicht länger dagegen wehren wollte. Sie sehnte sich danach, sich in ihr aufzulösen, den Taumel ganz und gar auszukosten.
Mit geschlossenen Augen wartete Rhys, dass Winter dieses Gefühl auskundschaftete. Es gab keine Schranken mehr zwischen ihnen. Winter empfand die Emotionen des Jungen, als wären es ihre eigenen, gleich dem Wind glitten sie über ihre Haut.
Und sie erkannte, dass sie das vollkommene Echo ihrer Emotionen waren.
Liebe. Begehren. DURST.
Langsam öffnete Rhys die Augen und suchte ihren Blick.
Vielleicht war es Schicksal.
Oder vielleicht die Folge dessen, was sie begonnen hatten.
»Erlaube mir, deine Gabe zu erwidern …«
Er führte sein Handgelenk an die Lippen und Winter erschauerte. Seine Zähne ritzten leicht die Haut auf, während er seine Augen weiter in ihre versenkte. Dann gruben sie sich in die pulsierende Vene und ein Schwindel ergriff beide.
Winter kostete gemeinsam mit ihm den Geschmack des Blutes. Er war berauschend, er war richtig.
Dann hob Rhys den feuchten, scharlachroten Mund. Er beugte sein Gesicht zu ihrem, ganz ohne Eile, und die Sekunden schienen ewig zu dauern.
Als ihre Lippen sich trafen, wusste Winter, dass sie etwas zu Ende führten, was bisher unvollendet geblieben war.
Sie zögerte kurz, und eine einzelne Träne rann über ihr Gesicht.
Sie liebte Rhys. Sein Blut war eine Versuchung, sie atmete seinen Duft auf den Lippen des Jungen. Noch nie hatte sie irgendetwas mit einer so aufwühlenden Intensität begehrt.
Ihr Herz klopfte heftig. Sie hatte Angst, denn wenn sie diesen Blutkuss empfing, würde nichts auf der Welt diesen Moment je wieder ungeschehen machen.
›Du hättest die Pflicht, ihn eigenhändig zu vernichten‹, wiederholte Bethan in ihrem Kopf.
Oh, nein, das wird nie geschehen .
Winter verzog langsam die Lippen zu einem Lächeln.
Ich liebe dich, Rhys , dachte sie von ganzem Herzen.
Endlich waren sie sich nahe, waren einer der Spiegel des anderen.
Ich bin wie du .
Sie hob ihr Gesicht, presste den Mund auf seinen und empfing seine Gabe.
Sie hatte Angst gehabt vor Rhys, weil sie sich selbst nicht zu akzeptieren vermochte.
Nun trank sie von seinen Lippen, während wohlige Schauer ihr eine Gänsehaut bereiteten. Sie hatte den Eindruck, mit dem karminroten Nektar seine Seele zu kosten, sie ließ ihn in sich fließen wie einen wertvollen Schatz.
Dann sah sie ihm tief in die Augen.
So würde es für immer sein …
Rhys beugte den Kopf seitlich, gab seinen Hals frei und Winter drückte ihren Mund darauf. Ihre leichten Küsse ließen ihn erschauern. Er fuhr mit der Hand durch ihre Haare, über ihren Nacken, und Winter erwiderte den leichten Druck.
Dann biss sie zu.
Sie lagen am Boden und Rhys presste sie weiter an sich.
So muss es sein , dachten beide, Blut für Blut .
Der Biss wurde wieder zu einem glühenden, leidenschaftlichen Kuss, als er am Kinn entlang erneut die Lippen erreichte.
Winter rückte kaum wahrnehmbar von ihm ab, um Luft zu holen, doch ihre Hände glitten weiterhin über seinen
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