Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
natürlich vor. Sie drückte seine Hand, während die Jungs ihre Musikinstrumente auf den Transporter des Schlagzeugers luden und sich in den Wagen drängten.
»Meint ihr wirklich, hier drin ist Platz für alle?«, fragte Gareth skeptisch.
Kenneth zuckte die Achseln. »Winter, weißt du noch, als wir nach Brighton gefahren sind? Los, sag ihm, wie viel Platz in dieser Kiste ist.«
Die Erinnerung brachte sie zum Lachen. Vor rund zwei Jahren waren sie zu zehnt zu einem Strandfest gefahren. Es war eine der unbequemsten und spaßigsten Autofahrten ihres Lebens gewesen.
»Neth, du warst damals zwanzig Zentimeter kleiner. Und wir hatten nur eine Gitarre an Bord.«
»Unmöglich!«
Es entspannte sich eine lebhafte Diskussion und Rhys ergriff die Gelegenheit, um die Straße zu überqueren und zu einem am Bürgersteig geparkten Taxi zu gehen.
Die Scheinwerfer waren an, doch der kräftige, glatzköpfige Taxifahrer lehnte an der Autotür und aß ein Brötchen.
Er schenkte Rhys erst Aufmerksamkeit, nachdem er den letzten Bissen hinuntergeschluckt und einen tüchtigen Schluck Wasser getrunken hatte.
»Ich fahre nirgendwo hin«, erklärte er unfreundlich. »Meine Schicht ist zu Ende.«
Rhys ließ sich nicht entmutigen.
»Der Motor läuft aber«, bemerkte er höflich.
»Nur wegen der Klimaanlage. Ich fahre nirgendwo hin«, wiederholte der Taxifahrer.
Der Junge streckte langsam den Arm aus und deutete auf den Transporter.
»Bitte … Wie Sie sehen, sind wir zu viele und brauchen einen zusätzlichen Wagen.«
Der Mann schüttelte den Kopf und blieb unnachgiebig. »Es gibt öffentliche Verkehrsmittel. Oder du rufst die Zentrale an und bestellst einen anderen Kollegen her, wenn du unbedingt deine Freundin beeindrucken willst. Es wird ihr gefallen, dass du für alles eine Lösung findest.«
Dass er bei der ersten Pause seit vielen Stunden unterbrochen worden war, hatte ihn verärgert. Außerdem mochte er die Leute nicht, die dieses Lokal besuchten, und gut aussehende und teuer gekleidete Herrensöhnchen wie den hier hatte er schon immer auf dem Kieker gehabt.
Er schaute Rhys direkt in die Augen, um ihn herauszufordern. Doch irgendetwas ging schief.
»Bitte«, sagte der Junge erneut mit einer seltsam schmeichelnden Stimme. »Tun Sie uns diesen Gefallen.«
Er hatte kastanienbraune Augen mit einer eigenartigen roten Färbung, die einen gefangen nahmen.
»Okay«, hörte der Taxifahrer sich antworten.
Madison wollte zu Rhys hinübergehen, um zu erfahren, ob das mit dem Taxi klappen würde. Es war eine gute Idee, Winter würde die Autofahrt zu zweit bestimmt genießen.
Doch kaum war sie nah genug, um das Gespräch mit dem Taxifahrer zu hören, verging ihr jede Lust.
Sie hatte keine klaren Vorstellungen von Vampiren und ihren Fähigkeiten, doch irgendetwas sagte ihr, dass Rhys ein falsches Spiel trieb.
»Du machst dir das Leben gern einfach, nicht wahr?«, konnte sie sich nicht verkneifen zu bemerken. »Du brauchst nur mit den Fingern zu schnippen und alle tun, was du willst … So ist es doch, oder nicht?«
Rhys erwiderte ausdruckslos ihren Blick. »Nein, so ist es nicht. Aber wir brauchten ein Taxi, und jetzt haben wir ein Taxi.«
»Irgendwie gefällt mir das nicht«, murmelte das Mädchen zwischen den Zähnen.
Sie hatte Rhys den ganzen Tag beobachtet und sich immer wieder gefragt, wieso sie so ein komisches Gefühl bei ihm hatte.
Es fiel ihr nicht schwer zuzugeben, dass er ihr noch immer Furcht einflößte, schließlich war er ihr erst vor wenigen Monaten fast an die Kehle gesprungen. Doch da war noch mehr, ein falscher Ton, irgendetwas anderes …
Rhys Llewelyns Blick hatte sich verändert.
Und aus irgendeinem Grund empfand sie das nicht als etwas Gutes.
Einsam um Mitternacht
Einsam um Mitternacht in meinem Hof,
haben mich meine Gedanken längst verlassen.
Walt Whitman
Grasblätter
H inter dem Hubschrauber erschienen die Highlands als eine schillernde Kette von Felsen, Grasland und Heidekraut vor einem stahlblauen Himmel.
Sie wirkten wie in weichen Samt gehüllt, der vom Wind gekräuselt ganz rasch die Farbnuancen wechselte.
Winter sah ihnen nach, wie sie immer kleiner wurden, bis sie in den hohen, kalten Wellen der Nordsee verschwanden.
Sie war noch nie in einem Hubschrauber geflogen: Trotz der Kopfhörer war der Lärm unangenehm, und das wackelige Gestell versetzte sie in Unruhe, doch das Panorama war so schön, dass es ihr den Atem raubte. Das Meer war eine stürmisch bewegte große Fläche tief unter
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