Silver Linings (German Edition)
wie Du Dich entschieden hast. Lies Dir meine Liste mit Forderungen noch einmal durch, präge sie Dir gut ein und verbrenn dann diesen Brief. Denk dran, wenn ich Deine Vermittlerin spielen soll, erzähl keiner Menschenseele, dass ich Kontakt zu Nikki habe.
Mit besten Absichten
Tiffany
Ich lese den Brief die ganze Nacht hindurch wieder und wieder. Stellenweise will ich nicht glauben, was da steht, vor allem, dass ich ein Verbrechen begangen haben soll und Nikki die Scheidung eingereicht hat, beides Vorstellungen, die in mir den Drang wecken, mir mit der Faust gegen die Stirn zu schlagen. Was für eine Art Verbrechen würde mich in so eine Situation bringen, und wer würde die Anschuldigungen fallenlassen, nachdem ich mich in eine psychiatrische Klinik einweisen ließ? Ich kann verstehen, dass Nikki die Scheidung wollte, weil ich ein schlechter Ehemann war, vor allem, weil ich, na ja, wirklich ein schlechter Ehemann war. Aber ich kann kaum glauben, dass ich tatsächlich ein Verbrechen begangen habe, das so drastische rechtliche Schritte zur Folge haben könnte. Und dennoch scheint Tiffanys Brief so vieles zu erklären – warum Mom meine Hochzeitsfotos abgenommen hat, warum Jake und Dad all die schrecklichen Sachen über Nikki gesagt haben. Wenn ich wirklich geschieden bin, dann ist alles, was meine Familie getan hat, um Nikki aus meinen Erinnerungen zu verbannen, nur zu meinem Schutz geschehen, zumal ihr Optimismus nicht stark genug ist, um ihnen klarzumachen, dass ich nicht tot bin und daher immerhin noch eine Chance habe, Nikki zurückzubekommen, was, wie ich ja wohl nicht erst erwähnen muss, an dem Brief der Silberstreifen ist.
Natürlich kann ich mir bei gar nichts sicher sein, da ich keinerlei Erinnerung an die letzten paar Jahre habe. Vielleicht hat Tiffany die Geschichte bloß erfunden, damit ich bei ihrem Tanzwettbewerb mitmache. Das ist möglich. Ich hätte mich ganz bestimmt nicht aus freien Stücken dazu bereit erklärt, auch wenn ich mich derzeit darin übe, nett zu sein. Mir ist bewusst, dass Tiffanys Brief ein Trick sein könnte, aber die Möglichkeit, mit Nikki zu kommunizieren, ist zu gut, um sie aufs Spiel zu setzen – es könnte schließlich meine letzte Chance sein. Außerdem spricht Tiffany vom Willen Gottes, was doch eigentlich nahelegt, dass sie begreift, worum es bei der Auszeit geht. Klar fände Nikki es gut, wenn ich Tanzstunden nähme. Sie hat immer mit mir tanzen wollen, aber ich habe es nie getan. Der Gedanke, in Zukunft mit Nikki zu tanzen, genügt schon, damit ich mich damit abfinde, die nächsten drei Eagles-Spiele zu verpassen, darunter das Heimspiel gegen Jacksonville. Ich stelle mir vor, wie empört mein Vater, Jake und vielleicht sogar Cliff deswegen sein werden, aber dann denke ich an die Möglichkeit, schließlich doch noch das Happy End meines Films zu erleben – Nikki wiederzubekommen –, und da ist klar, wie ich mich entscheiden werde.
Als die Sonne aufgeht, öffne ich das Fenster im Badezimmer, verbrenne den Brief über dem Klo und spüle die verkohlten Reste weg. Als Nächstes laufe ich durch den Knight’s Park, trabe um das Haus der Websters herum und klopfe an Tiffanys Tür. Sie öffnet in einem roten Seidennachthemd und blickt mich aus zusammengekniffenen Augen an. «Und?»
«Wann fangen wir mit dem Training an?», frage ich.
«Bist du bereit, dich hundertprozentig drauf einzulassen? Bereit, auf alles zu verzichten – sogar auf Eagles-Football?»
Ich nicke entschlossen. «Ich darf nur nicht meine Therapiesitzungen an den Freitagen ausfallen lassen, weil mich dann irgendein Richter zurück an den schlimmen Ort schickt, und dann können wir den Wettbewerb nicht gewinnen.»
«Ich bin morgen um zwei vor deinem Haus», sagt Tiffany und schließt die Tür.
Das Parterre von Tiffanys Einliegerwohnung ist ein Tanzstudio. Alle vier Wände sind komplett mit großen Spiegeln bedeckt, und an drei Seiten sind Stangen angebracht, wie Ballerinen sie benutzen. Der Boden ist aus Parkett wie bei einem Profi-Basketballfeld, bloß ohne die aufgemalten Linien und etwas heller lackiert. Die Decke ist hoch, vielleicht drei Meter, und in einer Ecke führt eine Wendeltreppe nach oben in Tiffanys Wohnräume.
«Das hab ich nach Tommys Tod bauen lassen», sagt Tiffany. «Mit dem Geld von der Versicherung. Gefällt dir mein Studio?»
Ich nicke.
«Gut, weil es den nächsten Monat über dein zweites Zuhause sein wird. Hast du das Foto mitgebracht?»
Ich öffne die Tasche, die ich
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