Silver Linings (German Edition)
den Füßen auf Moms Schoß.
Wir fahren schweigend durch North Philadelphia, doch als wir auf den Schuylkill Expressway biegen, sagt Caitlin: «Na, dieses Weihnachten werden wir wenigstens nie vergessen.» Sie meint das witzig, aber niemand lacht.
«Warum fragt mich keiner, wie ich in North Philadelphia gelandet bin?», frage ich.
Noch einer langen Pause sagt meine Mutter: «Tiffany hat uns aus einer Telefonzelle angerufen und uns alles erzählt. Wir sind schon in North Philadelphia herumgefahren und haben nach dir gesucht, als dein Vater den Anruf aus dem Krankenhaus bekam. Er hat Jake dann auf dem Handy angerufen, und da sind wir.»
«Dann hab ich also allen Weihnachten verdorben?»
«Diese verrückte Tusse hat uns Weihnachten verdorben.»
«Jake», sagt Mom. «Bitte.»
«Haben die Eagles gewonnen?», frage ich Jake, weil mir wieder einfällt, dass sie in Führung lagen, und ich hoffe, dass mein Vater in einigermaßen guter Stimmung ist, wenn ich nach Hause komme.
«Ja», sagt Jake knapp, was mir verrät, dass er sauer auf mich ist.
Die Eagles schlagen T. O. und Dallas – in Dallas – am Weihnachtstag und haben den Play-off-Platz praktisch in der Tasche, und Jake, der seit der Grundschule kein Spiel verpasst hat, verpasst das vielleicht beste Spiel der Saison, weil er ganz North Philadelphia nach seinem gestörten Bruder absucht. Und auf einmal wird mir klar, warum mein Vater nicht bei dem Suchtrupp dabei ist – unter keinen Umständen würde er so ein wichtiges Eagles-Spiel verpassen, schon gar nicht eins gegen Dallas. Ich habe unwillkürlich ein schlechtes Gewissen, weil es wahrscheinlich ein richtig schönes Weihnachtsfest geworden wäre, vor allem, weil mein Vater bester Laune gewesen wäre, und ganz bestimmt hat meine Mutter was Leckeres zu essen gekocht, und Caitlin trägt sogar ein Eagles-Trikot, und ich bringe weiterhin Chaos in das Leben von allen, und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn die Straßenräuber mich umgebracht hätten, und …
Ich fange an zu weinen, aber leise, um Mom nicht zu erschrecken.
«Tut mir leid, dass du meinetwegen das Spiel verpasst hast, Jake», bringe ich heraus, aber davon muss ich noch heftiger weinen, und schon bald schluchze ich in meine Hände wie ein kleiner Junge.
Meine Mutter tätschelt mir das nicht gebrochene Bein, aber keiner sagt was.
Den Rest der Fahrt legen wir schweigend zurück.
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Wie geht’s ihr?
Mein Geburtstag fällt auf einen Freitag. Den 29. Dezember. Am Nachmittag hilft Mom mir, meinen Gips mit Müllbeuteln und Klebeband abzudichten, damit ich zum ersten Mal seit dem Beinbruch duschen kann. Es ist mir ein bisschen peinlich, darüber zu sprechen, aber Mom muss mir helfen, den Gips aus der Dusche rauszuhalten, also hält sie den Duschvorhang fest, um den Gips zu schützen, während ich rittlings auf dem Wannenrand hocke und versuche, mein Gewicht auf das gesunde Bein zu stützen. Mom reicht mir die Seife, wenn ich sie brauche, und auch das Shampoo. Sie tut so, als würde sie meinen nackten Körper gar nicht sehen, aber ich bin sicher, sie nimmt ihn wahr, und das ist mir unangenehm. Ich habe seit Tagen nicht mehr trainiert und fühle mich klein und schwach – aber Mom sagt nichts über meinen Muskelschwund, weil sie eine nette Frau ist.
Nach dem Duschen hilft sie mir in eine Jogginghose, bei der Mom ein Bein bis zum Oberschenkel gekürzt hat, damit der Gips durchpasst. Ich ziehe auch ein Button-down-Hemd von Gap und meine neue Lederjacke an. Ich hüpfe die Treppe hinunter, humpele mit Krücken zur Tür hinaus und setze mich auf die Rückbank von Moms Wagen, seitlich, damit der Gips reinpasst.
Als wir an dem Haus in Vorhees ankommen, humpele ich mit Krücken in Cliffs Büro, entscheide mich für den schwarzen Ruhesessel, packe meinen Gips auf die Fußstütze und erzähle Cliff alles.
Als ich mit meiner Geschichte fertig bin, sagt Cliff: «Sie liegen also seit Weihnachten im Bett?»
«Ja.»
«Und Sie haben keine Lust zum Lesen oder Fernsehen?»
«Nein.»
«Und Sie trainieren Ihren Oberkörper kein bisschen? Keine Gewichte?»
«Nein.»
«Was machen Sie denn dann den ganzen Tag?»
«Ich schlafe, glaube ich. Manchmal schreibe ich, aber Danny besucht mich ab und zu.» Ich hatte Cliff erzählt, dass Gott Danny und mich wieder zusammengeführt hat, was sogar Cliff für ein kleines Wunder hält, wie er zugeben musste, und was vielleicht sogar der Silberstreif nach meinem furchtbaren Weihnachten ist.
«Was
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