Silver Moon
bleiben«, antwortete Bob und sah mich besorgt an. »Seelische Spuren … davon bin ich übersät!«, offenbarte ich flüsternd. Er nickte allwissend und nahm mich in seine Arme. Fast hätte ich dabei geweint. Ich konnte meine Tränen nur schwer zurückhalten. »Sakima hat uns gestern sehr geholfen. Wäre er nicht gewesen, dann … Irgendeiner von uns hätte das Messer noch einmal abbekommen, und das hätte schlimm enden können. Aber ich hatte solche Angst um ihn! Mein Vater und dieser Brock … die sind gefährlich! Bitte lasst Sakima nicht mehr in den Wald gehen! Ich will nicht, dass ihm meinetwegen etwas geschieht!«
»Sei unbesorgt, Sakima weiß, was er tut. Er war gestern schneller zu Hause, als dein Vater hätte reagieren können. Doch ich verstehe deine Ängste, mich plagen oft die gleichen, und ich habe Sakima ermahnt und ihm befohlen, nicht mehr in den Wald zu gehen!«
Ich war etwas beruhigt, dennoch quälte mein Innerstes eine andere Aussage von Bob.
»Du kannst Sakima verstehen? Ich meine, so richtig verstehen?«
»Ja, ich verstehe ihn richtig, Kira. Es wird der Tag kommen, an dem du ihn auch verstehen wirst, da bin ich mir ganz sicher.«
Bob schien davon überzeugt zu sein, ich hingegen konnte es mir kaum vorstellen. Unbewusst griff ich nach der kleinen Flöte, die ich wie immer um meinen Hals trug, und wollte endlich wissen, von wem sie war. »Die Flöte … Sakima kann sie unmöglich geschnitzt haben. Du weißt, wer sie gemacht hat, nicht?« Bob lächelte mich an.
»Alles braucht seine Zeit, Kira. Die Dinge müssen wachsen und gedeihen. Ich kann dir nur sagen, dass die Flöte von Sakima ist. Wenn es das Schicksal will und du dafür bereit bist, wirst du die ganze Wahrheit erfahren. Noch ist es zu früh, aber hab Vertrauen!«
Das klang sehr weise und überaus geheimnisvoll. Ich wusste nicht mehr als vorher, hatte dafür aber mehr Fragen als zuvor, die ich allerdings nicht mehr stellte. Stattdessen ging mir das Naheliegende nicht aus dem Kopf.
»Weshalb ist Sakima heute nicht auf dem Fest? Sollen die Leute ihn nicht sehen, oder hat er Furcht vor den ganzen Menschen?«
»Er hat keine Furcht. Er war heute Nachmittag bei uns. Aber sagen wir mal so: Wenn es Nacht wird, ruht er sich meist aus.«
»Dann bin ich also zu spät gekommen«, flüsterte ich, und die Worte waren mehr für mich als für andere Ohren gedacht, doch Kaya hatte sie aufgeschnappt. Sie brachte uns gerade den Tee und hatte für mich einen prall gefüllten Teller mit Spanferkel dabei.
»Zu spät? Würde ich nicht sagen! Unser Camp geht bis morgen früh. Übrigens, deine Kaiserkartoffeln sind wundervoll! Das Rezept musst du mir unbedingt geben, die Leute reißen sich darum.«
»Selbstverständlich«, murmelte ich und sah auf meinen vollen Teller. Ich hatte weder Hunger, noch war mir danach zu feiern. Einzig Sakima schwirrte durch meine Gedanken. Weshalb kam er nicht zu mir? Und wieso war er nicht in seiner Hütte, sondern im Haus? Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich gar nicht auf das Fest, sondern auf ihn gefreut hatte. Ohne Sakima an meiner Seite fühlte ich mich selbst in einer Masse von Menschen einsam. Nur wenn ich mit ihm zusammen war, blühte das Glück in mir.
Dazu brauchte es dann gar nicht viel … eine dürftige Hütte im Wald genügte, um in seiner Gegenwart ein Stück Himmel auf Erden zu kosten.
Yuma
Von Sakima war weit und breit keine Spur. Seine Hütte schien leer zu sein und im großen Wohnhaus der Moores brannte kein Licht. Traurig saß ich auf der Bank, knusperte an dem Spanferkel, stellte den Teller dann aber weg; ich hatte einfach keinen Appetit. Bob und Jacy waren auf die Weide gegangen, sie wollten indianische Reitkunst vorführen. Die Menschen standen staunend am Zaun, um ihre Kunststücke zu beobachten. Ich konnte Mia erkennen, die ihr Pony am Halfter festhielt und ebenfalls die Männer bei ihren waghalsigen Aktionen auf den Pferden bestaunte. Selbst Nino hatte seinen Zeichenblock beiseitegelegt und sah interessiert zu. Nur Kai und Anouk hatten sich ans Lagerfeuer gesetzt und schienen ihre Zweisamkeit zu genießen. So kannte ich meinen Bruder gar nicht …
Kai war ein Einsiedlertyp, ließ kaum einen Menschen an sich ran und hatte keine Freunde. In die Schule ging er nur notgedrungen. Sein wahres Leben spielte in der kleinen Hütte im Wald. Bei seinen Tieren wurde er immer zu dem Kai, der er wirklich war und den ich liebte. Er hatte nämlich auch eine humorvolle Seite und besaß ganz viel Herz und
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