Silver Moon
und brauste die Straße entlang. Leicht verwirrt machte ich mich an die Arbeit und mähte das restliche Stück. Kai brauchte wirklich nicht lange. Er kam bereits eine Viertelstunde später wieder auf unseren Hof gefahren. Ich war gerade dabei, den Rasenmäher wegzuräumen. Er lächelte, öffnete den Rucksack und hielt mir eine Flasche mit hochprozentigem Rum vors Gesicht.
»Den Alten füllen wir nachher richtig ab! Du kommst heute noch auf dein Dakota-Fest, das verspreche ich dir!« Ich begann unbewusst zu lächeln. Ein Hoffnungsschimmer keimte in mir. Ja, vielleicht würde es doch noch etwas werden. Gemeinsam gingen wir ins Haus. Mein Bruder machte heute das Abendbrot für Vater, sodass ich mich duschen und für das Fest schick machen konnte.
›Schick machen‹, hatte Kai gesagt und ich lachte ironisch in mich hinein. Ich hatte nichts, um mich ›schick zu machen‹.
Der ganze Inhalt meines Kleiderschrankes bestand aus drei Jeans, ein paar Shirts, vier Blusen und zwei Jacken, das war alles. Ich besaß auch nur zwei Paar Turnschuhe, nicht unbedingt das, was man als ›schick‹ bezeichnen konnte, aber mir war’s egal, solange ich überhaupt zu dem Fest kam. Ich wäre auch in einem Sack gegangen.
Dennoch zog ich mir nach einer ausgiebigen Dusche frische Klamotten an. Ich entschied mich für meine Bootcut-Jeans, die braunen Turnschuhe und die beigefarbenes Bluse, die stellenweise bestickt war und dadurch einen Ethno-Look besaß. Leider hatte sie nur dreiviertellange Ärmel und ich musste aufpassen, dass man meine Verletzung bei einer ungünstigen Bewegung nicht sah. Wenn ich die Arme allerdings gerade ließ, bemerkte man die Mullbinde nicht. Ich blickte in den Spiegel und fühlte mich wohl mit meinem Äußeren, mal abgesehen von dem nassen Haar. Das musste ich dringend föhnen. Es dauerte eine halbe Stunde, bis meine ellenlangen Haare trocken und einigermaßen in Form gebracht waren.
Ich entschloss mich noch einmal, sie offen zu tragen, damit niemand die blaue Beule an meiner Stirn bemerken würde. Mein Haar glitt in Wellen über den Rücken und endete locker fallend auf meinen Po. Zufrieden trat ich aus dem Badezimmer. Gleichzeitig fürchtete ich mich davor, auf Vater zu stoßen, doch alles schien friedlich zu sein. Ich schlich in die Küche, wo Kai gerade aß. Er saß alleine am Tisch und deutete mit seinem Finger auf meinen Teller.
»Du hast heute kein Mittag gegessen! Dein Schnitzel war ebenso unangetastet wie meins! Die Pommes sind hin, die können die Hühner morgen essen, aber ich habe uns ein paar von den Kaiserhäufchen, oder wie die Dinger heißen, warm gemacht. Die sind köstlich, wirklich. Aber warum hast du so viele gemacht?«
»Die will ich zum Fest mitnehmen. Ich finde es unangebracht, wenn ich mit leeren Händen komme.«
»Da hattest du also doch noch Hoffnung auf das Fest!«
»Ja, heute Morgen schon, als ich sie zubereitete, da wusste ich auch noch nichts von Vaters Plänen bei Brock«, sagte ich und setzte mich zu Kai an den Tisch. Ich war wirklich hungrig und wollte nicht mit knurrendem Magen bei den Moores erscheinen. Während des Essens fiel mein Blick auf die Uhr. Es war schon kurz nach neun.
»Ist Mia eigentlich wieder zurück?« Kai schüttelte den Kopf.
»Nein, sie nicht, aber der Alte!« Erschrocken ließ ich die Gabel sinken und musste mich räuspern. Fast wäre mir ein Stück Schnitzel im Hals stecken geblieben. »Wo? Wo ist er?«, fragte ich flüsternd. Kai winkte ab und sprach laut weiter. »Der pennt. War eh schon sturzbesoffen, als er kam. Die zwei Gläser Rum von mir haben ihm dann den Rest gegeben, der hat’s noch nicht mal bis in sein Schlafzimmer geschafft!« Als Kai es sagte, hörte ich auch schon das laute Schnarchen von Vater und ein Stein fiel mir vom Herzen.
»Dann könnte ich ja glatt gehen«, sagte ich hoffnungsvoll, legte das Besteck beiseite und konnte mein Lächeln nicht unterdrücken. Auch Kai grinste, als er mich so sah. »Weißt du was? Wir gehen alle zusammen! Ich werde Nino überreden, aber du isst erst mal auf. Wir treffen uns dann am Auto! Die nächsten drei Stunden kommt der Alte nicht wieder zu sich, das nutzen wir alle aus.«
Was für eine super Idee! Meine ganze Familie bei den Moores, beim Dakota-Camp-Fest, unser erstes gemeinsames Fest seit Mutters Tod. Ich konnte es kaum fassen und aß schnell weiter, bevor ich die Kaiserkartoffeln noch einmal aufwärmte, sie in dem bereits geschmückten Weidekorb anrichtete und dann eilig nach draußen lief.
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